Den schnapp ich mir Roman
geheimen Beziehung – das war für ihn äußerst verlockend, und er war nicht sicher, ob er sie aufgeben konnte. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Dann riss er frustriert die Tiffany-Quittung in tausend Fetzen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er jetzt tun sollte.
Tessa fand ihren Paschmina, den sie irgendwo im Schlösschen liegen gelassen hatte, über dem Geländer in der Eingangshalle und schlang ihn sich um. In der letzten Woche hatte es glücklicherweise nicht mehr geregnet, aber es war inzwischen November und ziemlich kühl geworden. Sie brauchte jedes Kleidungstück, um warm zu bleiben.
Da eilte Henny die Treppe herab. »Diese verdammte Caro!«, zischte sie. Sie wirkte sehr aufgebracht. »Entschuldige, Tessa, aber diese Frau macht mich noch wahnsinnig!«
»Was hat sie denn wieder angestellt?«
»Hat mich angebrüllt, weil ich den Flecken nicht aus der weißen Jeans entfernt habe, die sie bei ihrem letzten … Treffen mit JB anhatte. Das ist wirklich das Allerletzte. Der arme Jack trinkt sich inzwischen zu Tode, aber Caro kümmert das kein bisschen. Was sieht sie bloß in diesem JB? Ich kann ihn nicht leiden. Er hat so eng zusammenstehende Augen …«
Tessa musste ein Lächeln unterdrücken. »Ich weiß, seine Augen stehen wirklich sehr eng beieinander, und zuverlässig ist er auch nicht. Als ich ihn zur Rede gestellt habe, weil er dauernd die Drehtermine versäumt, schien ihn das überhaupt nicht zu stören. Er hat einfach über Familien geredet und einen Bruder, mit dem er seit Ewigkeiten nicht mehr redet.«
»Wirklich?« Henny runzelte misstrauisch die Brauen. »Ich frage mich, was sich da abgespielt hat.«
»Keine Ahnung. Wenn er nur seine Arbeit tun würde …«
Henny war mit ihr einer Meinung. Dann sah sie Gil und Nathan, die draußen auf dem Rasen mit einem Kräutertee in der Hand standen und plauderten. Sie wies mit dem Kopf in deren Richtung. »Also, Tess, ich will ja nichts Übles sagen, aber ich war gestern im Dorf, und da habe ich mitbekommen, wie Mrs. North sagte, sie habe gehört, dass Nathan bisexuell sei. Was meinst du?«
Tessa betrachtete nachdenklich Nathans Bizeps. »Schon möglich. Habe allerdings noch nie darüber nachgedacht. Aber mit einem solchen Körper wäre es vermutlich geradezu kriminell, sich auf ein einziges Geschlecht zu beschränken, oder?« Dann kicherte sie, aber Henny stimmte nicht ein. Sie beobachtete, dass Gil Nathan wie blöd anstrahlte, der ihm gerade von seinen Plänen für die preisgekrönten Rhododendren erzählte.
Tessa wollte gerade zurück in ihr Cottage gehen, als sie Claudette erspähte, die auf Händen und Knien auf dem Boden der Bibliothek hockte. Tessa wollte sie keinesfalls stören, besonders, weil sie an die recht feindselige Unterhaltung neulich zwischen ihnen dachte, aber sie war auch neugierig, was Claudette da tat.
Die oberste Schublade des großen Schreibtisches beim Fenster stand offen. Überall lagen Papiere auf dem Boden verstreut. Claudette, in dunklen Jeans und einem ihrer zahlreichen Kaschmirpullover, wühlte rasch durch die Papierstapel, als suchte sie etwas ganz Bestimmtes. Sie warf ein paar vergilbte Seiten mit großen Tintenflecken fort und wühlte tiefer in der Schublade, um etwas herauszuziehen, was sich hinten festgeklemmt hatte.
Tessa war sprachlos. Sie erinnerte sich daran, wie David seine Geburtsurkunde gesucht hatte, ehe er zur Uni ging, und Henny hatte sie in diesem Schreibtisch gefunden und gesagt, die Familie würde alle persönlichen Dokumente dort unter Verschluss halten. Nur sie und Will hatten einen Schlüssel, den sie offensichtlich stets bei sich trugen.
Entgeistert sah Tessa zu, wie Claudette nun ein Papierbündel herauszog, das hinten der Schublade festgesteckt hatte. Die Dokumente wirkten recht neu und schienen einen offiziellen Briefkopf zu haben. Claudettes Gesicht strahlte bei dem Anblick auf. Unfreiwillig holte Tessa hörbar
Luft, worauf Claudettes Kopf hochfuhr wie eine Klapperschlange.
»Bordel!«
Tessa zuckte zusammen.
»Ich …’abe etwas gesucht.« Betont gleichgültig schob Claudette die Papiere wieder in die Schublade, doch ihre Hände zitterten. »Will hat mich gebeten, ein paar Dokumente zu suchen.« Dann verschloss sie die Schublade und steckte den winzigen Schlüssel mit einem achtlosen Schulterzucken ein.
»Will hat Sie gebeten, persönliche Familiendokumente zu suchen?«
Elegant schwirrte Claudette in einer Wolke ihres exotischen Parfüms an ihr vorbei. »Aber ich bin praktisch
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