Den schnapp ich mir Roman
an die Wand stützen. »Sind Sie sicher? Sind Sie sicher, dass sie … dass Ruby es überstehen wird?« Er sprach den Namen ganz bewusst aus, wie um ihn auszuprobieren. Den Namen seiner Tochter .
»Ja, und wer sind Sie?«, fragte der Arzt kühl.
»Ich … bin Rubys Vater«, erwiderte Tristan und fuhr sich verlegen durch die Haare. Er konnte Sophie nicht ansehen, die stumm weinend neben ihm stand. Weinte sie aus Erleichterung, weil ihre Tochter … ihre gemeinsame Tochter, wieder gesund würde? Oder weil sie wusste, dass sie ihn nun auf immer verloren hatte? Tristan starrte sie an und fragte sich, ob er Sophie jemals gekannt hatte.
Da änderte sich die Stimme und die Haltung des Arztes. »Oh, entschuldigen Sie. Das habe ich nicht gewusst. Sie werden sich freuen, dass es Ruby bereits viel besser geht. Sie hat eine leichte Gehirnerschütterung, und wir haben uns Sorgen gemacht, es könnte ernst sein. Aber sie wird bald wieder völlig in Ordnung sein.«
Tristan begriff inzwischen überhaupt nichts mehr, nur
irgendwo tief drinnen verstand er, dass Ruby, sein eigenes Fleisch und Blut, nicht mehr in Gefahr schwebte.
»Wir brauchen uns keine weiteren Sorgen zu machen?«
»Nein.«
»Danke. Ich danke Ihnen sehr.« Als der Arzt sich entfernt hatte, wandte Tristan sich wütend an Sophie. »Wie konntest du mir das antun? Wie konntest du mir das verschweigen? Das ist so verdammt ungerecht, Sophie – ich finde keine Worte dafür. Eine Tochter! Verdammt, eine Tochter!« Ihm wurde ganz schwindlig bei dem Gedanken. »Wir hatten eine Tochter, und du hast mir das verschwiegen?«
Sophie war nicht mehr in der Lage, irgendetwas von sich zu geben. Tristans Reaktion hatte sie bis ins Mark erschüttert. Er wirkte wie vernichtet, unendlich traurig, und sein vorwurfsvoller Blick zerriss ihr fast das Herz.
Er wandte sich ab. »Ich muss jetzt gehen.«
»B…bitte geh nicht …« Sie griff nach seiner Hand. Seine Finger fühlten sich kalt an.
»Fass mich nicht an. Ich kann es nicht ertragen. Das kann ich dir niemals verzeihen, Sophie. Niemals.« Damit schüttelte er ihre Hand ab und ging steifbeinig den Gang entlang.
Sekunden später kam Gil, Nathan neben sich, atemlos auf Sophie zu.
»Ist Ruby in Ordnung? Wir sind so schnell wie möglich gekommen, aber irgendein Idiot hatte seinen MG direkt vor dem Eingang zum Parkplatz geparkt.«
Sophie konnte es nicht ertragen. Sie riss sich aus seinen Armen und begann hysterisch zu schluchzen. Verlegen wechselten Nathan und Gil einen Blick über ihren Kopf hinweg. Sie verstanden nicht, was los war.
Tristan riss den Strafzettel von der Windschutzscheibe und fuhr wie ein Irrer zurück nach Appleton. Dort stürmte er
in sein Studio und zerrte ohne zu zögern ein Porträt von Sophie aus seinem Versteck. Es war sein Lieblingsbild von ihr, vollendet in jenem Sommer der Zärtlichkeit, den sie zusammen voller Liebe verbracht hatten. Er war von ihr wie besessen gewesen, leidenschaftlich verliebt und hatte, verzehrt von seiner Muse, Tag und Nacht an ihrem Bildnis gearbeitet. Es beschwor so viele Erinnerungen herauf, dass er praktisch den Duft von frischem Heu, vermischt mit dem sinnlichen Aroma ihrer Haut, in der Sonne riechen konnte. Sein Blick fuhr wie berauscht an ihren langen, anmutigen Gliedern entlang, über die perfekte Linie ihrer elegant geschwungenen Beine und die verletzlich dargebotene Kehle. Sophie trug auf dem Bild nur einen zartgelben Schleier, der sie hauchdünn bedeckte, aber den Blick auf die sanften Kurven lenkte.
Ihr Blick war ausgezeichnet getroffen – es war die liebevolle, ehrliche Sophie. Aber so war sie wohl nicht. Tristan ließ seiner brodelnden Wut freien Lauf, zog ein Taschenmesser hervor und schlitzte das Bild kreuz und quer von oben bis unten auf. Dann sank er auf die Knie, so leer und von Reue überwältigt fühlte er sich nun. Unbeschreiblich traurig und verzweifelt senkte er den Kopf auf die Brust. Er wollte zu seiner Tochter eilen, sie kennen lernen und die vergeudete Zeit wieder wettmachen – aber ein Teil in ihm konnte ihre Existenz nicht akzeptieren.
Und Sophie … Endlich dämmerte es ihm. War Sophie schwanger gewesen, als sie ihn und Anna bei diesem Kuss überraschte? War sie früher aus London zurückgekommen, um es ihm zu sagen? Ja, vermutlich. Und ihre unverbrüchliche Dankbarkeit zu Gil, dem Mann, dem sie alles verdankte, wurde nun ebenfalls erklärbar. Gil hatte sicher Mitleid mit der schwangeren, allein dastehenden Sophie gehabt. Wer würde sich nicht in
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