Den Tod im Blick- Numbers 1
allem Weiteren. Außerdem – auch wenn ich das nie zugeben würde – müsste da echt jemand Anständiges kommen. Wenn ich mir schon mal Gedanken drüber gemacht hatte, was ich selten tat, stellte ich mir so einen richtig Gutaussehenden vor, vielleicht nicht gerade jemanden mit zehn von zehn Punkten, aber zumindest mit acht. Aber doch niemals so einen wie Spinne – diesen langen, schlaksigen, zappeligen Typen mit einem massiven Reinlichkeitsproblem. Und der zudem nur noch ein paar Wochen zu leben hatte.
Ich musste ihm auf den Zahn fühlen, herausfinden, ob die Idioten in der Schule tatsächlich auf der richtigen Spur waren. Aber ich wollte auch vorsichtig an die Sache rangehen, nicht riskieren, dass plötzlich einer von uns dumm dastand. Ich bin ja schließlich kein völliges Miststück.
»Spinne?«, hatte ich mit einem Fragezeichen in der Stimme gesagt.
»Ja.«
»Das in der Schule, du weißt schon … wieso hast du das eigentlich gemacht? Wieso hast du dich da so reingehängt?«
Spinne zog die Stirn kraus. »Der war respektlos, Jem. Was du gesagt hast, Mann – ich wusste einfach, es stimmte. Es war genau das, was du gefühlt hast. Er hatte kein Recht, sich darüber lustig zu machen.«
»Ja, ich weiß, er ist ein Wichser, aber es ging dich nichts an. Du hast die totale Show abgezogen. Und mich dabei so richtig vorgeführt.«
»Ich wollt nicht, dass er einfach so durchkommt.«
»Ja, aber ich brauch keinen Ritter in glänzender Rüstung. Ich kann auf mich selbst aufpassen.« Er lächelte jetzt ein bisschen. Ich schwieg. »Das ist nicht komisch, verdammt. Es hat alles nur schlimmer gemacht«, sagte ich leise. »Jetzt hör ich dauernd so Sprüche von wegen du und ich. Hinterfotzige Sprüche.«
Er schaute weg und betrachtete seine Hände. Die Knöchel seiner Rechten waren fast wieder verheilt.
Mein Mund war jetzt ganz trocken, aber ich musste das mit ihm klären. »Du weißt doch, dass es kein ›uns‹ gibt, Spinne, oder?«
Er schaute hoch. »Was ist?«
»Wir sind nicht, du weißt schon … zusammen. Nur Freunde.«
Irgendwas an seinem Missmut, mit dem er sagte: »Ja, klar. Nur Freunde. Freunde ist gut«, gab mir das Gefühl, dass er genau das Gegenteil empfand. Ich war innerlich aufgewühlt und verfluchte den Tag unter der Brücke. Menschen waren so scheißkompliziert. Wieso hatte ich mich bloß drauf eingelassen?
Er stand auf, kam zu mir und streckte einen Arm aus. Ich dachte: Scheiße, der drückt mich gleich an sich, hat der denn gar nicht zugehört? Aber seine Hand bildete eine Faust und er stieß sie mir leicht gegen die Schulter. »Hör zu, Mann, ich weiß, wie du drauf bist. Ich hab dir erklärt, dass ich nie wieder was Nettes zu dir sage. Und gerade haste mir verklickert, du willst auch nicht, dass ich was Nettes für dich tu. Okay? Wenn dich in Zukunft also jemand respektlos behandelt, scher ich mich nicht drum. Wenn du auf der Straße beklaut wirst, geh ich einfach weiter. Wenn ich seh, du stehst irgendwo lichterloh in Flammen, von mir aus, ich werd dich noch nicht mal nasspinkeln. Einverstanden?«
Ich grinste, ein bisschen erleichtert. Das war schon besser, ein kleiner Witz, ein bisschen Distanz. Und er hatte echt Recht, so langsam kannte er mich. Noch nie hatte es jemand geschafft, mich so aufzuziehen und trotzdem zum Lächeln zu bringen. Nach der ganzen Aktion, Distanz zu schaffen, fühlte ich mich fast schon wieder, als ob ich den Arm ausstrecken und ihn an mich drücken wollte. Fast. Aber ich tat es natürlich nicht. Stattdessen trafen sich unsere Hände, Fäuste geballt, dass sich die Knöchel berührten.
»Alles klar, Mann?«
»Ja, Spinne«, antwortete ich. »Alles klar.«
»Und, kommst du also am Samstag? Kein Date, du Knallkopf, einfach nur abends wohin gehen. Als Freunde.«
»Weiß nicht. Mal sehen.«
Ich hatte lange drüber nachgedacht. Mehr oder weniger jede Minute, von dem Moment an, als er mich gefragt hatte, bis zu dem Moment, als ich ein paar Tage später die Treppe hinaufging. Ich hatte mich hundertmal entschieden, nicht hinzugehen. Aus verschiedenen Gründen war es eine Scheißidee: Erstens mochte ich keine Menschen und sie mich auch nicht; zweitens war Baz ein allseits bekannter Psycho, in dessen Nähe man sich besser nicht aufhalten sollte; und drittens würde mich Karen niemals so spät aus dem Haus lassen. Andererseits war ich noch nie auf eine Party eingeladen worden und ein Teil von mir wollte ganz einfach dazugehören, normal sein. Ich redete mir ein, ich
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