Den Tod im Blick- Numbers 1
würde nur mal vorbeigehen und schauen, was los war. Ich musste ja nicht bleiben, wenn es mir nicht gefiel. Und was Karen anging: Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.
Während sie im Wohnzimmer fernguckte, schlüpfte ich heimlich aus der Küche, Schuhe in der Hand, um auf der Treppe ja kein Geräusch zu machen. Ich lief schnell, eingehüllt in den Schutz meine Kapuze. Tief unten in der Tasche fühlte meine Hand die Glätte des Kunststoffgriffs meines Messers. Ich hatte es auf dem Weg durch die Küche eingesteckt, einfach nur, um mein Selbstvertrauen zu stärken – benutzen würd ich es nie, ich bin nicht aggressiv oder so, aber wenn es Probleme geben sollte, dachte ich mir, würde ein Messer die Leute zurückschrecken lassen und mir genug Abstand verschaffen, um wegzulaufen. Wie auch immer, zu wissen, dass es da war, reichte, mich über die Türschwelle und raus in die Dunkelheit zu bringen. Noch so ein kleines Geheimnis, das mir weiterhalf.
Es war ganz einfach, Baz’ Wohnung zu finden: Die Musik wurde immer lauter, als ich die Treppe hinauf- und über den Flur ging, wo noch mehr bedröhnte Jugendliche abhingen. Ich hatte gehofft, Spinne im Treppenhaus zu sehen, aber so viel Glück hatte ich natürlich nicht. Ich würde also reingehen müssen. Die vielen Leute, die drinnen rumstanden, machten es unmöglich, einfach so in die Wohnung zu kommen, ich würde mich durchquetschen müssen. Angesichts der Tatsache, dass ich niemanden kannte und es nicht leiden konnte, andern körperlich nahe zu sein, war das eigentlich etwas viel verlangt, aber ich war entschlossen, es durchzustehen. Wie auch immer, ich war klein für mein Alter, deshalb ging es relativ leicht, mich durch die Massen zu schlängeln – es schien die Leute nicht zu stören.
In der Wohnung war es viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte: brütend heiß, die Musik so laut, dass man nicht mehr klar denken konnte, die Leute eng zusammengepfercht, säuerlich riechende Achseln, die dir ins Gesicht stießen, und ein überwältigender Gestank nach Zigaretten, Dope und Schweiß. Und die ganze Zeit die Zahlen der Leute direkt vor mir, ganz nah, kein Entkommen.
Es heißt doch, die Lebenserwartung der Menschen steigt, oder? Aber ich nehm an, das gilt nicht für Jugendliche aus unserer Siedlung. Die meisten von ihnen schafften es gerade mal in die Vierziger, Fünfziger, eine ganze Reihe verabschiedeten sich auch schon früher. Opfer der Umstände, wie wir jetzt leben, sagte ich mir – Autos, Alk, Drogen, Verzweiflung. Mir wär lieber gewesen, ich hätte es nicht gewusst, aber du kannst das nicht einfach so ein- und ausschalten.
Ich hatte es ungefähr drei Meter in die Wohnung geschafft, als ich Panik bekam, eingezwängt zwischen einem Typen, dessen T-Shirt von Schweiß durchnässt war, und seiner Freundin, die in Haarspray und Parfüm eingenebelt dastand. Ich konnte nicht mehr weitergehen, und die Lücke hinter mir hatte sich schon geschlossen. Es gab keine Luft zum Atmen und der Lärm war so gewaltig, dass es mir vorkam, als ob er direkt in meinem Kopf dröhnte und versuchte, durch Ohren, Augen und Nase nach draußen zu platzen. Mir wurde schwindelig, und als ich langsam die Kraft in den Beinen verlor, merkte ich, dass ich sie gar nicht brauchte; mein Körper wurde von all den andern um mich herum gehalten.
Durch einen winzigen Spalt entdeckte ich ein vertrautes Logo auf dem Rücken eines gelben T-Shirts, das im gleichen Rhythmus auf und ab hüpfte, in dem sich sein Besitzer zu dem Beat bewegte. Spinne! Ich holte tief Luft, ließ mich nach unten sinken und machte mich klein, um mich durch das Meer aus Beinen zu zwängen. Direkt neben Spinne kam ich wieder hoch und tippte ihm an die Schulter.
Er drehte sich um, legte mir seinen langen Arm auf den Rücken und hielt mich an der Taille fest. Trotz unserer kleinen Aussprache protestierte ich nicht. Als er mich an sich zog, war mir der vertraute Geruch nach seinem Schweiß fast willkommen. Sein Arm stützte mich und gab mir die Möglichkeit, mich zu entspannen und wieder zu atmen.
Er sagte etwas zu mir, aber ich konnte nichts verstehen. Er beugte sich herunter und schrie: »Guter Sound, Mann! Hier …« Mit der andern Hand bot er mir eine fette Selbstgedrehte an. Immer noch völlig angeschlagen und benebelt, nahm ich sie, ohne groß nachzudenken. »Mach schon«, brüllte er mir ins Ohr. »Ist guter Stoff.«
Ich sah den Joint an, den ich zwischen den Fingern hielt und von dessen Ende blauer Rauch
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