Den Tod im Blick- Numbers 1
meiner Klasse ließen mich in Ruhe. Jemand hatte mich auf der Party gesehen und die Verbindung zu Baz hielt sie in Schach. Freunde an oberster Stelle. Es gab zwar immer noch ab und zu Kommentare über mich und Spinne und die Beziehung zwischen uns, aber sie flachsten nur, es war nicht mehr hinterhältig, sogar eher ein bisschen bewundernd.
»Reiz sie nicht. Jem ist jetzt ’ne echte Gangsterbraut!«
Langsam kapierte ich, warum Spinne aufrechter ging. Es war ein gutes Gefühl, nicht mehr unten auf der Leiter zu stehen.
Aber Jordan und seine Kumpel lauerten die ganze Zeit in den Startlöchern. Er war am Montag nach Baz’ Party in die Schule zurückgekehrt und hielt Abstand zu mir, doch ich wusste, er behielt mich im Auge. Er wartete ab. Der Gedanke, dass er drei Reihen hinter mir saß und mir seinen Blick in den Schädel bohrte, machte mich nervös.
Eines Morgens in der Pause kam er plötzlich aus der Deckung. Ich spazierte gerade am Naturwissenschaftstrakt entlang, als ich spürte, dass sich von hinten Leute näherten. Ich drehte mich um und sah, wie mir zwei von Jordans Kumpeln folgten. Und ich dachte: Scheiße, wegrennen werd ich nicht! Also ging ich weiter, um die Ecke rum und lief Jordan direkt in die Arme. Seine Hand schoss nach vorn und mir voll vor die Brust.
»Wohin, Gangsterbraut?«
»Geht dich nichts an, Arschloch. Lass mich vorbei.«
»Nein, ich will mit dir reden.«
»Ich hab dir nichts zu sagen.« Ich machte auf hart, aber in Wirklichkeit fühlte ich mich bedroht, mein Herz pochte wie wild. Sie hatten mich in einem stillen Eck erwischt und sie waren zu fünft. Ohne meinen kleinen Freund hatte ich keine Chance. Meine Hand krampfte sich um den Griff des Messers in meiner Tasche.
»Ich kann dich nicht ausstehen, Jem, und deinen Freund kann ich auch nicht ausstehen.«
»Er ist nicht mein –«
»Halt die Klappe. Ich red.« Es gefiel ihm, dieses Gefühl von Macht. Es verwirrte mich, dass so ein Wichser wie er seine ganzen Kumpels dabeihaben musste, um mich einzuschüchtern. Ich weiß, ich hätte den Blick zu Boden richten, nichts sagen, vielleicht ein, zwei Schläge einstecken und warten sollen, dass sich das Ganze in Luft auflöste. Aber es ging mir unter die Haut und ich dachte nicht mehr klar.
Ich zog mein Messer raus und hielt es vor mich hin. »Nein, du hältst die Klappe. Ich will deine Scheiße nicht hören. Ich will bloß, dass du mich in Ruhe lässt.«
Plötzlich waren alle erstarrt und glotzten auf die Klinge. Ich witterte meine Chance und drängte mich an Jordan vorbei, der keinen Widerstand leistete. Einen Sekundenbruchteil fühlte ich mich erleichtert, ehe ich McNulty vor mir stehen sah. Sofort packte er mein Handgelenk und drückte so fest zu, dass das Messer zu Boden fiel. Während er mich weiter festhielt, zog er ein Taschentuch raus, beugte sich nach unten und hob das Messer mit dem Tuch auf wie ein Bulle im Fernsehen, der ein Beweisstück sichert. Es war nicht zu übersehen, wie sehr er seinen Triumph genoss. Jetzt hatte er mich. Und er hatte den Beweis. Wichser.
»Schluss damit. Die Pause ist gleich um. Geht zurück in eure Klassen«, dröhnte er. »Und du«, sagte er entschlossen, »kommst mit.«
Mein Handgelenk noch immer eisern umklammert, brachte er mich zum Büro des Schulleiters. Wir warteten nicht wie sonst draußen. McNulty marschierte mit mir schnurstracks an der Sekretärin im Vorzimmer vorbei, klopfte an die Tür des Direx und trat selbstgefällig, ohne zu warten, ein. »Herr Direktor, wir haben es hier mit einem ernsten Fall zu tun. Ich habe Jem Marsh auf dem Schulhof erwischt, wie sie einem anderen Schüler mit einem Messer drohte.« Er legte das Beweisstück auf den Schreibtisch.
Der Direx, der gerade Papiere unterzeichnet hatte, zuckte sichtlich zurück, als hätte McNulty ihm eine tickende Bombe vor die Nase geworfen. »Ja, verstehe«, sagte er und schaute von mir zu Nuller und wieder zurück. Dann nahm er den Telefonhörer. »Miss Lester, rufen Sie bitte die Polizei an und sagen Sie ihnen, sie sollen vorbeikommen. Ja. Danke. Und rufen Sie auch bei Miss Marsh zu Hause an. Die sollen besser gleich mit dazukommen.«
Und dann ging es los: mit den Fragen, den Belehrungen, den Anschuldigungen, der Enttäuschung. Nicht nur seitens des Direx und der Polizei, sie hatten auch Karen und meine Sozialbetreuerin Sue dazugeholt. Das Büro platzte aus sämtlichen Nähten, als alle da waren. »Ich glaube, du begreifst gar nicht, in welchen Schwierigkeiten du steckst –
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