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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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keinen Spaß. Vielleicht gab es ja ein paar Leute, die gedankenverloren an uns vorbeigingen oder -fuhren und sich nicht für uns interessierten, aber alle andern hatten uns voll im Blick. Ich nehm an, wir gaben ein ziemlich auffälliges Bild ab: zwei schmuddelige Jugendliche, einer lächerlich groß, der andere ein Zwerg. Und ich denke, meine Vermutung im Wagen war richtig gewesen: Die meisten sahen das ganze Jahr über nicht einen Schwarzen. Ganz sicher gab es hier kein einziges anderes schwarzes Gesicht. Es war wie in diesen Fernsehsendungen, nur umgekehrt – du weißt schon, in denen irgendein Weißer in ein afrikanisches Dorf kommt und die Kinder laufen auf ihn zu und berühren seine weiße Haut und betasten sein Haar. Nur dass hier niemand auf uns zulief. Sie sahen uns an und schauten weg. Eine Frau, die uns auf dem Bürgersteig entgegenkam, blickte kurz hoch und nahm dann ihr Kind auf die andere Seite, fort von uns. Und ich dachte: Du Arschloch, was immer wir an uns haben, es ist nicht ansteckend, du hochnäsige Pute.
    Wir fanden einen Zeitschriftenladen. Spinne zog ein paar Zehner aus seinem Geldbündel und schickte mich rein. Ich schnappte mir einfach irgendwas, so schnell ich konnte: ein paar Tafeln Schokolade und Chips, diesmal aber auch vernünftige Dinge – Wasser, Obstsaft und Müsliriegel.
    Der Laden, der eingezwängt zwischen einem Antiquitäten- und einem Gemüsegeschäft lag, roch muffig. Er war vom Boden bis zur Decke vollgestopft mit Snacks und Getränken, Zeitungen und Zeitschriften, darunter jede Menge Pornohefte. Es war ein bisschen wie London, das mitten im Niemandsland Einzug gehalten hatte. Der Typ hinter dem Tresen las Zeitung, während ich rumging und auswählte. Du konntest sehen, dass er mich beobachtete.
    Ich legte das Zeug auf den Tresen. Hinter ihm waren die Zigaretten, also verlangte ich sechs Schachteln und dann sah ich plötzlich noch was: drei oder vier Taschenlampen, auf einem Regal zusammengeschoben. Ich kaufte zwei und dazu die passenden Batterien. Er schob die Sachen in mehrere Tragetüten und schaute zu, als ich mit dem Geld zugange war. Er weiß Bescheid , dachte ich, als ich da stand, er weiß Bescheid.
    Er nahm das Geld. »Danke«, sagte er mit rauer Stimme, als wären seine Stimmbänder nach fünfzehn Jahren Rauchen abgeschmirgelt. Dann, als ich mich umdrehte und gehen wollte, rief er: »Hier …«
    Und ich wusste, das Spiel war aus. Was würde er mit uns machen? So ein alter Schwachkopf wie er konnte mich doch nicht aufhalten, oder? Ich ging weiter.
    »Hey, du!« Er rief jetzt lauter. Ich drehte mich um. »Du hast dein Wechselgeld vergessen.«
    Ich ging zurück und nahm es schweigend entgegen.
    Draußen auf der Straße gab ich Spinne eine der Taschen und er nahm meine freie Hand in seine. »Komm«, sagte er, »lass uns von hier verschwinden.«
    Wir liefen in eine Seitenstraße zwischen zwei Geschäften. Sie wand und schlängelte sich hinter den Häusern und einigen Schrebergärten entlang und dann auf einen Treidelpfad am Kanal zu. Wir folgten ihm eine Weile. Neben mir erhob sich eine Mauer und dahinter ratterte ein Zug vorüber. Wir kamen an einen Tunnel. Der Pfad war schmal, mit einer feuchten, kalten, gewölbten Wand auf der einen Seite und einem Geländer auf der andern, damit du nicht in den Kanal stürzen konntest.
    Spinne ließ meine Hand los. »Geh du vor. Ich bin direkt hinter dir.«
    Es war schwer zu erkennen, wo du hintratst, und meine Gelenke knickten auf dem unebenen Boden andauernd um. Ich fing an die Nerven zu verlieren. Vor mir, am Ende des Tunnels, erschien eine Gestalt, ein großes, dunkles Wesen, das den größten Teil des Lichts tilgte. Ich schaute über die Schulter in der Erwartung, hinter uns auch jemanden zu sehen – es war der perfekte Ort, um einen in die Falle laufen zu lassen, ohne jede Fluchtmöglichkeit und ohne dass irgendwer dich schreien hörte.
    Aber alles war okay, der Weg nach hinten war frei bis auf Spinne. Doch keine Falle, nur ein Typ, der am Kanal entlangging.
    Wir liefen im Dunkeln aufeinander zu. Ich war nicht sicher, ob er mich überhaupt gesehen hatte, er kam mir mitten auf dem Weg entgegen, so als ob er durch mich hindurchwollte. Er erschien nur als Schattenriss, alles andere war ausgeblendet. Als er näher kam, dachte ich: Er ist ein Schwarzer, deshalb kann ich hier drin so wenig von seinem Gesicht erkennen. Dann, als er nur noch sechs Meter oder so entfernt war, sah ich plötzlich taumelnd vor Angst, dass sein Gesicht

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