Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
Vom Netzwerk:
zu den Gleisen hinab.
    Ich rannte zu Spinne, wir trafen uns auf halbem Wege. Er umarmte mich, drückte mich an die Brust, packte mich am Hinterkopf.
    »Ist gut. Ich hab dich. Ich hab dich, Jem.« Seine Stimme klang schwer, er war selbst den Tränen nahe. »Lass uns verschwinden. Soll er doch sehn, wie er an sein Geld kommt.«
    Die Luft war voller Geldscheine. Sie segelten noch immer überall um uns nieder, als wir die Böschung hinaufstiegen. Ich schaute zu Tattoogesicht zurück, wie er gebückt Schein für Schein aufhob. Es war ganz klar, dass er durchgedreht war, total durchgedreht, weil er vor sich hin murmelte, während er, mit dem Gesicht nach unten, keuchend und stöhnend umherlief.
    Spinne hatte beide Hände um mich geschlungen. Als wir das obere Ende des Abhangs erreichten, half er mir wieder über den Zaun. Ich wartete, dass er mir folgte, aber er stand da, eine Hand auf dem Geländer ruhend.
    »Komm schon, lass uns abhauen«, sagte ich.
    Er schaute über die Schulter. Ich stöhnte.
    »Nein, bitte, lass es. Es ist nur Geld.«
    »Bloß hundert Pfund, Jem. Überleg mal, was wir mit hundert Pfund anfangen können.«
    Ich fasste durch das Geländer und griff nach seinem Ärmel.
    »Spinne, lass es.«
    Er löste meine Finger und küsste sie.
    »Bin in einer Minute zurück«, sagte er und lief den Abhang wieder runter.
    »Spinne, nein! Nein!«, schrie ich. Er war jetzt unten auf den Gleisen. Tattoogesicht sah zu ihm auf.
    »Biste zurückgekommen, um dir noch mehr zu holen, ja?«
    »Ich will nur ein kleines bisschen. Meinen Anteil – ist sowieso meins.«
    »Du kriegst gar nichts, du kleines Stück Scheiße. Geh zurück zu deiner Freundin, beeil dich, oder ich schlag dich zusammen.«
    Spinne ging auf ihn zu. »Ich hab keine Angst vor dir.«
    »Komisch, das hat deine Großmutter auch gesagt, als ich ihr ’nen Besuch abgestattet hab.«
    »Du hast was?«
    »Ich wollte nur wissen, wo du steckst. Bisschen Info. Sie war nicht grad kooperativ, deine Großmutter. Ziemlich große Klappe, so wie du. Aber als ich ging, hat sie nichts mehr gesagt …«
    »Du Scheißkerl! Was hast du mit ihr gemacht?« Spinne sprang auf ihn zu und rammte den Kopf voll in Tattoogesichts Magen. Er boxte ihn zu Boden und sie rollten zusammen die Böschung hinab auf die Gleise. Sie knurrten sich an, rangen miteinander und schlugen mit voller Kraft aufeinander ein, was dieses eklige Geräusch verriet, wenn sich Fleisch in Fleisch rammt. Hinter ihrem tierischen Grunzen und Stöhnen hörte man aus der Ferne das Rattern eines Zugs und Sirenen, jede Menge Sirenen, die immer näher kamen.
    »Spinne!«, schrie ich. »Lass ihn los! Verschwinde!« Ich weiß nicht, ob er mich hörte oder nicht.
    Plötzlich geschah alles auf einmal. Zwei Polizeiautos und ein Lieferwagen bogen in die Straße ein, kamen mit kreischenden Bremsen zum Stehen und spuckten einen Trupp Uniformierte aus. Sie schwärmten über den Zaun. Fünfzig Meter die Gleise hoch tauchte ein Zug auf, der blind vor sich hin ratterte.
    »Spinne, verzieh dich endlich!« Meine Stimme klang so unglaublich dünn wegen all dem Chaos um mich rum. Er konnte oder wollte mich nicht hören. Ich konnte nicht länger hinschauen. Ich drehte mich um, sank zu Boden, die Knie umschlungen, die Augen geschlossen.
    Rings um mich schrien und brüllten Leute. Es gab ein nervenzerreißendes Kreischen, als der Lokführer voll in die Eisen stieg. Es schien Stunden zu dauern. Ich wartete, bis der Lärm endlich aufhörte. Ich würde nachschauen müssen: Ich musste es wissen. Ich versuchte zu atmen – dreimal ein- und wieder ausatmen –, bevor ich mich umdrehte.
    Durch das Geländer sah ich den Zug. Er war zum Stillstand gekommen, der letzte Wagen genau auf der Höhe, wo ich saß. Die Bullen hielten Tattoogesicht im Polizeigriff. Er schlug noch immer um sich, trotz der drei Beamten, die ihn in Schach zu halten versuchten. Von Spinne fehlte jede Spur – ohne es zu wollen, suchte ich die Gleise unter dem Zug ab. Die Polizei dachte offensichtlich das Gleiche wie ich – einige Männer gingen an den hinteren Wagen entlang und spähten drunter. Mein Mund war trocken. »O bitte, nein«, flüsterte ich.
    An der gegenüberliegenden Böschung bemerkte ich eine Bewegung, etwas, das von Busch zu Busch kroch. Zuerst dachte ich, es wär ein Tier, doch dann schaute ich genauer hin. Es war ein Mensch auf Händen und Füßen. Es war Spinne.
    Er floh den Abhang hoch, dann nach rechts. Als die Büsche aufhörten, legte er sich

Weitere Kostenlose Bücher