Den Tod im Griffl - Numbers 3
es auch so. 20022055.«
Einen Moment lang fürchte ich, er fängt an zu weinen.
Dann bewegt sich etwas auf meinen Beinen, etwas Kratziges, Kitzelndes. Ich zucke instinktiv weg. Adam dreht sich um und tritt aus.
»Was ist das?«, frage ich.
»Vergiss es«, antwortet er. »Schon weg.«
»Was denn?« Aber er wird nicht antworten.
Ich versuche mich auf den Ellenbogen zu stützen. Nicht weit von uns entfernt schreit jemand, erfüllt die Luft mit seinem Lärm.
»Kannst du dich aufsetzen?«, fragt Adam.
»Weiß nicht.«
Er hilft mir und ich schiebe mich nach hinten, lehne mich an einen Grabstein.
Das Baby weint in Adams Armen.
»Gib sie mir«, sage ich. Er reicht sie mir vorsichtig. Sie bewegt ihren Kopf nach links und rechts, den Mund weit geöffnet. Ich schiebe mein T-Shirt hoch, bereite mich vor, sie zu stillen. »Sie hat Hunger. Unsere Tochter hat Hunger.« Ich sehe Adam an und erwarte irgendeine Reaktion von ihm, ein Lächeln, eine liebende Geste.
»Kannst du das im Stehen machen?«, fragt Adam. »Es wäre besser, wenn du aufstehen würdest.«
Er wirft einen Blick über meine Schulter, schaut ständig vor und zurück.
»Nicht wirklich«, sage ich. »Wieso? Was ist?«
»Nichts. Alles in Ordnung. Mach weiter.«
»Adam, was ist das für ein Lärm?«
Er sieht mich an und sein Blick wirkt gehetzt.
Ich frage nicht noch mal nach.
Ich versuche mich bequem hinzusetzen. Das Baby weiß, was es tun muss. Es dockt an und selbst hier, auf dem Friedhof im Nebel, entspannt mich ihr Nuckeln. Es ist etwas zwischen ihr und mir, etwas, das Mütter und Babys seit jeher tun. Ihr Kopf ist mit meinen Sachen bedeckt, aber die kleinen Beine schauen hervor. Ich könnte sie ewig so anschauen, aber ich will nicht, dass sie friert. Ich wickle meinen Mantel um sie.
Ich wette, Mia friert ohne ihre Decke. Jetzt, wo wir zur Ruhe gekommen sind, könnte auch sie sich ankuscheln. Sie ist hier irgendwo. Sie hat für mich gesungen, ehe ich eingeschlafen bin. Ehe sie mir ihre Zahl gab.
Auf einmal halte ich inne bei dem Gedanken, dass ich Vals Zahl habe. Das Ganze war so unglaublich, dass ich nicht weitergedacht habe. Aber jetzt. Wenn Mia mir ihre Zahl gegeben hat, welche Zahl hat sie dann? Es muss Sauls Zahl sein.
Ich fange an schrecklich zu zittern.
Ich schaue auf. Adam hat einen riesigen Ast in der Hand. Er fegt damit in weiten Halbkreisen über den Boden. Tiere huschen in alle Richtungen davon, als die bürstenartigen Zweige auf sie zukommen. Ratten.
Aber nirgends ein Zeichen von Mia.
Adam dreht sich um und schaut nach mir und dem Baby. Und wir sprechen fast gleichzeitig los. Unsere Münder spiegeln, was sie aussprechen.
»Wo ist Mia?«
ADAM
Ich lasse Sarah den Ast da, damit sie sich selbst wehren kann, und laufe los. Mia könnte überall sein, aber es zieht mich in Sauls Richtung zurück. Er brüllt noch immer und es klingt genauso wie immer, wenn ich ihm in die Augen gesehen habe – vor dem heutigen Tag. Es klingt nach 16022030. Doch er hat die Zahl geändert. Er hat eine Zahl, die er niemals hätte haben dürfen. Er stirbt doch nicht … oder?
Ich komme näher und das Gebrüll wird leiser. Ich höre ihn noch immer, aber Sauls Stimme ist gedämpfter geworden, winselnder, flehender. Er spricht mit jemandem.
Ich laufe schneller, springe zur Seite, schlängele mich zwischen den Gräbern hindurch und versuche den schnellsten Weg zu nehmen. Und dann sehe ich ihn. Er liegt noch da, wo ich ihn verlassen habe, aber er ist nicht allein. Mia ist bei ihm, hat sich neben ihn gehockt. Sie berührt sein Gesicht. Er berührt ihres. Um sie herum ist der Boden schwarz von Ratten.
Ich muss nur in Kontakt sein, so zum Beispiel. Ich schaue dir in die Augen und greife hinein.
»Nein! Nein, Mia, geh da weg! Geh von ihm weg!«
Mia dreht sich um, berührt ihn aber weiter.
»Daddy!«
Sie verlässt Saul, rennt auf mich zu und Heere von Ratten jagen in alle Richtungen auseinander. Ich laufe ihr entgegen, doch kurz bevor ich sie erreiche, rutscht sie auf einem glitschigen Stein aus, fällt hin und schrammt sich das Knie auf. Sie fängt an zu schreien, aber ihr Schreien ist nichts gegen das, was Saul jetzt ausstößt. Sein Brüllen könnte den Himmel spalten. Es tost in meinen Ohren, löscht alle anderen Geräusche. In meinem Kopf ist nichts als Lärm – er macht mich taub. Ich sehe alles, als ob ich gar nicht da wäre, als ob das Ganze jemand anderem passiert. Ich beobachte das Geschehen wie auf einer Leinwand.
Ich erreiche Mia und sie
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