Den Tod im Griffl - Numbers 3
schaut vom Boden auf. Sie hat überall Tränen im Gesicht, ihre Wangen sind von Blut und Schmutz verschmiert – sie ist ein Bild der Verzweiflung. Doch ihre Zahl sagt mir etwas anderes. Sie erzählt von nichts als einem glücklichen Ende, von Wärme und Liebe.
25072076.
Sie hat Sarahs Zahl. Sie muss sie Saul wieder weggeschnappt haben. Dann hat also Saul …?
»Komm her! Komm zurück!«, brüllt Saul.
Ich schaue an Mia vorbei, wo er sich am Boden krümmt und nach uns reckt, doch die Finger greifen ins Leere. Er hört auf sich zu winden und sieht mich an.
»Adam.«
Er schreit nicht mehr, aber ich höre sein Gebrüll noch weiter in meinem Kopf. Es springt im Kopf herum, hallt von den Schädelwänden zurück, als mich seine Zahl wieder und wieder erschüttert wie ein elektrischer Schlag, der mir direkt ins Gehirn geht. Er hat sie, die Zahl, die er besaß, als ich ihm begegnete, die Zahl, die er versucht hatte loszuwerden. Sie ist zu ihm zurückgekehrt.
16022030. Heute.
»Adam! Adam! Hol mich hier raus. Diese Biester, sie fressen mich bei lebendigem Leib! Hilf mir!«
»Ich kann nicht, Saul«, antworte ich.
»Natürlich kannst du. Du kannst das Teil so weit anheben, dass ich –« Er verstummt und sein Gesicht verändert sich. »Du meinst, du willst nicht, stimmt’s? Aber du musst, Adam. Das Mädchen hat mich betrogen. Sie hat mir den Sechzehnten zurückgegeben. Ich muss hier raus, ich muss …«
»Du brauchst meine Zahl oder ihre. Beide wirst du nicht kriegen, Saul.«
»Nicht deine. Nicht deine, Adam. Das würde ich dir nicht antun. Es gibt Hunderte Menschen da draußen. Hilf mir, eine gute Zahl zu finden, dann lasse ich dich in Ruhe. Dann steht es dir frei zu gehen. Und niemand wird dir folgen. Niemand wird mehr hinter dir her sein. Ich verspreche es. Ich verspreche es, Adam.«
Ich beuge mich hinab und hebe Mia hoch. Ich wische ihr mit dem Daumen die Tränen ab. Sie legt ihre Arme um meinen Hals und ihre Beine um meinen Körper. Ich glaube, so fest hat sich noch nie jemand an mich geklammert.
»Ist gut«, sage ich zu ihr. »Lass uns gehen und Mum finden, in Ordnung?«
Ich schaue ein letztes Mal zu Saul. Eine Ratte kriecht über sein Gesicht.
»Adam, komm zurück. Ich werde dich nicht anrühren. Ich werde dir nicht wehtun. Ich würde das niemals tun. Wir können einander helfen. Lass mich nicht allein. Adam, lass mich nicht allein, Adam, bitte. Bitte! BITTE!«
Ich drehe mich um und renne los.
»Du bringst mich um, Adam. Du bist ein Mörder!«
»Nein, Saul«, rufe ich im Laufen. »Ich lasse jemand anderen leben.«
Er lässt einen tierischen Schrei los. Es ist der Laut, mit dem ihn die Wirklichkeit einholt. Niemand wird ihn retten. Ich habe es gesehen. Ich habe es gespürt. Und jetzt wird es wahr. Zweihundertfünfzig Jahre gehen zu Ende. Es zerrt an mir bei jedem Schritt, doch es reißt mich nicht zurück.
Saul – seine verdrehten Ansichten, sein grausames, selbstsüchtiges ewig währendes Leben – gehört der Vergangenheit an.
Ich halte eine Tochter in meinen Armen, eine zweite macht ihre ersten Atemzüge und ich habe ein Mädchen, das ich seit dem Augenblick liebe, als ich sie zum ersten Mal sah. Saul wusste nichts von Liebe, und wenn doch, dann hat er es vergessen. Ich werde seine Fehler nicht wiederholen.
Ich renne der Zukunft entgegen.
SARAH
Rot und Gold kommen zwischen den Steinen auf mich zu. Die Farben des Feuers. Mias goldene Flamme vermischt sich mit Adams. Er ist vielleicht nicht ihr leiblicher Vater, doch sie passen gut zusammen. Sie sehen aus, als ob sie zueinander gehören. Und Gott sei Dank gehören sie zu mir.
»Mia!«, rufe ich.
Ihr blasses Gesicht ist dreckverschmiert. Sie klammert sich an Adam, als ob ihr Leben davon abhinge.
»Alles in Ordnung, Süße? Komm her.«
Sie will ihn nicht loslassen. Will oder kann nicht sprechen. Ihre Augen sind offen, glasig, traumatisiert.
Um Himmels willen, was hat sie wohl alles durchgemacht? Was hat sie gesehen?
»Wo hast du sie gefunden?«
Er hält seine Hand seitlich an ihren Kopf, drückt sie an sich und deckt ihr Ohr zu.
»Bei Saul«, sagt er leise.
»Was ist passiert?«
Er schüttelt den Kopf.
»Später«, sagt er. »Wir reden später drüber.«
»Aber ihre Zahl, Adam. Was ist mit ihrer Zahl?«
»Sie ist in Ordnung«, antwortet er. »Ihre Zahl ist jetzt gut.«
Die brüllenden Schreie im Nebel gehen um eine Oktave nach oben, werden zu einem stechenden Kreischen.
»Das ist er, stimmt’s?« Ich deute mit dem Kopf in
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