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Den Tod vor Augen - Numbers 2

Den Tod vor Augen - Numbers 2

Titel: Den Tod vor Augen - Numbers 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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alles okay ist, immerhin habe ich ja ihre Zahlen gesehen. Ich weiß, dass sie beide überleben. Trotzdem kriege ich Panik, wenn ich nur an sie denke. Und ich renne los. Ich mache mich auf durch die dunklen Straßen, mache mich auf den Weg nach Hause.
    Es dauert Stunden. Ich muss über den Fluss, aber die Hälfte aller Brücken in London ist weg. An der Vauxhall Bridge steht Polizei und hält die Menschen davon ab, sie zu betreten, denn die Brücke ist nicht mehr sicher, doch ich dränge mich vorbei und renne, so schnell ich kann, bis ich drüben durch die Absperrung bin.
    Es wird gerade hell, als ich die High Road finde, aber als ich in Omas Straße komme, traue ich meinen Augen nicht. Die halbe Straße ist verschwunden. Da ist nur ein Riesenloch, Hunderte Meter lang. Die Häuser sind eingestürzt. Ich brauche eine Weile, bis ich erkenne, welches Omas ist, welches Omas war . Vorn ist es komplett aufgerissen und das Dach ist weg. Das Einzige, was noch da ist, sind ein paar Mauern und ein Haufen Schutt. Einige von den Zwergen liegen vor dem Haufen wie kleine Leichen platt am Boden.
    »O mein Gott«, sage ich laut. Niemand kann das überlebt haben, wenn er im Haus war. Und wo sonst sollen sie gewesen sein? Ich versteh das nicht. Ich dachte, sie wären beide Überlebende. Ich dachte, Sarah wär meine Zukunft.
    Meine Beine tragen mich nicht mehr. Ich sinke zu Boden und schließe die Augen. Das ist doch nicht richtig. Das kann einfach nicht sein.
    »Sie sind rausgekommen.«
    »Was?«
    Ich schaue hoch und ein alter Mann in Schlafanzug und Bademantel steht da. Er sieht meine Handschelle, doch er sagt nichts dazu.
    »Deine Oma und das Mädchen. Sie sind rausgekommen, bevor das Dach eingestürzt ist.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich bin ich sicher. Sie sind extra dageblieben, um meiner Frau und mir zu helfen. Sie waren Heldinnen.«
    Die Nachricht schießt durch mich hindurch wie eine weitere Flutwelle. Sie verschlägt mir ein zweites Mal den Atem.
    »War auch ein Baby dabei? Hatten die beiden auch ein Baby bei sich?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Nein, sie waren nur zu zweit.«
    »Wo sind sie jetzt?«
    Er schüttelt wieder den Kopf.
    »Tut mir leid, das weiß ich nicht. Sie sind schon vor einer Weile los. Vielleicht vor zwanzig, dreißig Minuten. Haben nicht gesagt, wo sie hinwollten.«
    Zwanzig Minuten. Das ist nichts. Ich kann sie noch einholen. Ich kann sie finden. Wenn ich nur wüsste, wohin sie wollten. Denk nach, Adam. Denk nach, denk nach. Ich schließe wieder die Augen. Ich versuche, mich auf Sarah zu konzentrieren, was wird in ihrem Kopf vorgehen? Wenn sie Mia nicht dabeihatten, wird sie verzweifelt nach ihr suchen. Wo ist sie also? Wo ist Mia?
    Ihre Mum und ihr Dad waren an dem Tag, als Sarah wegen Körperverletzung verhaftet wurde, auf dem Polizeirevier. Sie hat ihre Eltern gesehen. Sie könnten Mia mit nach Hause genommen haben, wenn die Leute von der Kinderfürsorge einverstanden waren. Und wieso sollten die nicht einverstanden gewesen sein? Zwei ehrbare Bürger. Schönes Haus in Hampstead. Schöner Wagen. Schönes Leben.
    »Alles in Ordnung mit dir, Junge?« Der Schlafanzug-Typ betrachtet mich immer noch.
    Ich bin todmüde. Am liebsten würde ich mich auf die Straße legen und sofort einschlafen.
    »Ja«, sage ich. »Ja, alles okay. Ich muss nur ein paar Frauen suchen.«
    »Ah, cherchez les femmes«, sagt er. »Viel Glück, mein Junge.« Er zwinkert mir zu und dreht sich um.
    Mein ganzer Körper tut weh; meine Arme sind erschöpft, meine Handgelenke schmerzen, meine Fußknöchel haben blaue Flecken und sind verrenkt, die Lunge drückt. Aber es ist vor allem der Fuß, der mich jetzt im Stich lässt. Ich beuge das Bein und verdrehe ihn, um ihn anzuschauen. Ich wische den Dreck mit den Händen ab – kleine Stein- und Mörtelstücke, Staub, Glasscherben, Holzsplitter. Ich winsele und stöhne. Es sind jetzt ein paar tiefe Schnitte zu sehen.
    So werde ich nie nach Hampstead kommen. Ich brauche einen Schuh. Auf einmal entdecke ich einen Vorhang, der noch an seiner Schiene hängend auf dem Schutt liegt. Ich krieche über die Trümmer und reiße an dem Stoff, trenne ihn zu langen Verbänden auf.
    Dann wickle ich einen davon um meinen Fuß. Meine Hände zittern, aber ich darf jetzt nicht aufgeben. Ich versuche sie unter Kontrolle zu bekommen, damit ich den Stoff vom Zeh bis zum Fußknöchel um den Fuß wickeln kann, so dass ich eine Art Stoffschuh bilde, dann knote ich den Verband vorn zusammen. Das Teil ist genial.

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