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Den Tod vor Augen - Numbers 2

Den Tod vor Augen - Numbers 2

Titel: Den Tod vor Augen - Numbers 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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nach dem andern selbst.
    »Es macht mich fertig.« Ich senke die Stimme und geb ihr ein Zeichen, sie beugt sich näher zu mir. »Die Zahlen, Oma. Die Zahlen. Ein paar hier drinnen haben echt nicht mehr lange zu leben.«
    Sie hört auf zu kauen und sieht mich an.
    »Der Junge da drüben mit den hochgelegten Beinen. Er stirbt morgen, aber niemand außer mir sieht das. Sie glauben, mit ihm ist alles in Ordnung. Die kümmern sich kaum um ihn.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, natürlich bin ich sicher. Sonst würde ich es doch nicht sagen.«
    »Du solltest jemandem Bescheid geben.«
    »Ja?«
    »Vielleicht …«
    »Es würde nichts ändern, Oma. Es hat auch bei Mum und bei Junior nichts geändert.«
    »Aber diesmal vielleicht.«
    »Oma. Ich hab die Zahlen mein Leben lang gesehen. Sie ändern sich nicht. Ich hätte in dem Feuer sterben können, aber ich bin nicht gestorben, weil es noch nicht mein Tag war. Junior hätte von dem Messer auch nur verletzt werden können, aber nein. Es hat ihn getötet, sofort. Ich hab seine Zahl gesehen. Sie stand fest. Niemand hätte sie ändern können.«
    »Aber deshalb dürfen wir doch nicht aufhören, es zu versuchen … ich werde mal mit den Leuten von der Station reden. Wir müssen dich ja sowieso hier rausholen. Ich glaube, das ist kein guter Ort für dich.«
    Sie steht auf, geht, um mit jemandem zu reden, und nimmt die Pfefferminztüte mit.
    Am Abend, als die Nachtschwester ihre letzte Runde macht, ehe die Lichter ausgehen, spreche ich sie an.
    »Können Sie nach Carl schauen?«, frage ich.
    »Natürlich«, antwortet sie. »Ich schaue nach jedem.«
    »Aber können sie immer mal wieder nach ihm schauen? Heute Nacht?«
    Sie sieht mich an, als ob ich nicht ganz richtig im Kopf wäre, dann streicht sie das Laken über meinen Beinen glatt.
    »Mach dir um ihn keine Sorgen. Mit ihm ist alles in Ordnung.«
    Ich lasse meine Nachttischlampe an, als die übrigen Lichter der Station ausgehen, und setze mich auf. Ich gebe mir das Versprechen, über Carl zu wachen, Alarm zu schlagen, wenn ich irgendwas höre oder sehe. Als ich merke, dass ich anfange wegzudösen, kneife ich mich fest. Es weckt mich für eine Minute oder so wieder auf, doch dann spüre ich, wie ich einschlafe, und kann nichts dagegen tun. Ich erinnere mich erst wieder, als plötzlich die Deckenleuchten an sind, Ärzte und Schwestern um das Bett gegenüber stehen und jemand den Vorhang zuzieht.
    »Was ist? Was ist passiert?«, rufe ich, aber niemand hört mich. Wesley und Jake schlafen noch, trotz all der Hektik nur ein paar Meter von ihnen entfernt, und die andern konzentrieren sich auf Carl.
    Später sind alle aus dem Ärzte- und Schwesternstab zugeknöpft über das, was passiert ist. Selbst Wesley findet nicht raus, was los war.
    »Irgendwas Schlimmes«, sagt er zu mir. »Jemand scheint sich vertan zu haben, muss wohl einen Fehler gemacht haben, sonst würden sie es uns sagen.« Was er nicht weiß, ist, was ich gesehen habe, als sie mit Carl zugange waren und versucht haben, ihn zu retten: die Blutlache, die unter dem Vorhang herausdrang, die Schere, die in dem Wirrwarr über den Fußboden gekickt wurde. Ich nehme an, Carl hat seinen eigenen Weg aus dem Leben gefunden.
    Ich denke den ganzen Tag drüber nach, kann mich auf nichts anderes konzentrieren. Wenn ich wach geblieben wäre, hätte ich früher Alarm schlagen können. Dann hätten sie ihn vielleicht gerettet. Ich wusste, dass etwas geschehen würde – ich hätte sie zwingen sollen, mir zuzuhören. Es war meine Schuld.
    Es ist leer dort, wo sonst immer sein Bett stand. Ich stehe auf und gehe hinüber.
    »Tut mir leid, Mensch«, murmel ich vor mich hin. »Ich hab dich im Stich gelassen.«
    Ich überlege, dass Oma womöglich Recht hatte. Wenn du dich nur genügend anstrengst, könntest du vielleicht doch die Zahlen ändern. Wenn ich wach geblieben wäre, wenn ich gesehen hätte, was er gemacht hat, hätte alles anders ausgehen können. Jetzt denke ich an all die Achtundzwanziger. Sie laufen noch immer da draußen herum.
    Wenn ich Menschen warne, mir Gehör verschaffe – vielleicht wird es dann ja nicht Tausende oder Millionen Tote geben. Vielleicht kann ich sie retten, oder wenigstens einige von ihnen. Und selbst wenn ich nur ein paar wenige rette, ist das den Versuch doch wert, oder?
    Es ist jetzt nicht mehr lange hin. Also sollte ich besser anfangen und den Menschen davon erzählen.
    Aber wie schaffe ich es, dass die Leute mir zuhören?
    Und was soll ich ihnen überhaupt

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