Den Tod vor Augen - Numbers 2
Zunge witscht über seine Lippen. Und in seinen Augen steht noch etwas anderes als nur seine Zahl. Er hat Angst. Vielleicht genauso viel Angst wie ich.
Ich will nicht, dass ich es bin. Ich mag den Kerl nicht. Er ist ein Arschloch und ich möchte, dass er mich in Ruhe lässt, aber ich will ihn nicht töten: Ich will überhaupt niemanden töten.
Ich möchte, dass die Uhren aufhören zu ticken. Ich möchte, dass die Zeit stehen bleibt. Ich will, dass die Zahlen verschwinden.
Die Hitze des Feuers röstet mein Gesicht. Jemand wirft ein Brett in die Mitte. Rot glühende Asche wirbelt auf und erzeugt Millionen Funken in der Dunkelheit.
»Ich gehe«, sage ich und steh auf. »Hör zu, Junior, ich bin hergekommen, um zu kämpfen, aber ich will nicht kämpfen. Ich hab dir die Wahrheit gesagt, also lass mich von jetzt an in Ruhe. Das war unser Deal. Okay?«
Er gibt den anderen Zeichen und sie umzingeln mich, packen mich von hinten, reißen mir die Arme auf den Rücken.
»Ich bin jemand, der sein Wort hält. Ich werde deine Oma in Ruhe lassen. Aber glaub ja nicht, du kannst so einfach abhauen. Du hast gesagt, dass du gekommen bist, um zu kämpfen, also werde ich gegen dich kämpfen. Durchsucht ihn.«
Ich trete mit den Füßen um mich, aber das hält sie nicht ab. Sie haben ihre Hände auf meinem Körper, tasten mich überall ab, wühlen in meinen Taschen. Natürlich finden sie mein Messer. Ich hab es nicht versteckt – hatte es griffbereit im Gürtel, damit es da wäre, falls ich es brauchte.
»Du hast ein Messer mitgebracht.«
»Selbstschutz, Mann.«
»Ich bin unbewaffnet.« Er hält die leeren Hände hoch.
»Glaub ich dir nicht.«
Es kann nicht sein, dass ich der Einzige bin, der ein Messer mitgebracht hat. Er stülpt seine Taschen nach außen, öffnet die Jacke und zeigt mir, dass er nichts drin versteckt hat. Scheiße, das einzige Messer hier gehört mir. Und jetzt bin ich schutzlos, ungedeckt.
»Du bist gekommen, um es gegen mich zu verwenden. Du bist hergekommen, um mich zu töten.« Er tritt dicht an mich heran und sticht seinen Finger in meine Brust. »Tja, aber ich geh nicht zu Boden. Du erledigst mich nicht. Morgen kannst du dein Buch suchen und meine Zahl streichen, denn ich geh heute nirgendwohin. Du hast dich geirrt.«
Er schlägt mir voll in den Magen.
»Der Einzige, der heute Probleme bekommt, bist du, Loser.«
Er versetzt mir noch einen Schlag, unten zwischen die Rippen. Und dann noch einen. Und noch einen. Ich versuch mich zu wehren, aber mit den Händen am Rücken habe ich keine Chance. Er schlägt mir jetzt ins Gesicht. Meine Lippe platzt auf, Blut strömt herab. Der Geruch versetzt mich wieder in meinen Albtraum.
»Das reicht, Junior, du hast gesagt, es bleibt fair.« Jemand spricht, es ist der, der mich durchsucht hat.
»Halt die Klappe.«
»Der ist fertig, schau ihn doch an.«
»Ich hab gesagt, halt die Klappe, verdammt.«
»Willst du mich zwingen?«
Ich höre nur halb, was sie sagen. Mein Kopf ist nach vorn gefallen, die Beine sind weggesackt. Wenn die Jungs mich nicht festhalten würden, läge ich längst am Boden.
Junior hört nicht auf. Er ist jetzt so richtig in Fahrt. Weitere Schläge in den Magen, ich spucke Blut. Er bringt mich um. Er braucht gar kein Messer – seine Fäuste reichen voll aus.
»Lass ihn in Ruhe.«
Noch ein Schlag.
»Ich hab gesagt, lass ihn in Ruhe.«
Ich kann nichts mehr sehen. Hinter den Augen ist alles rot. Ich hänge nach vorn und dann fall ich. Ich hör einen Schrei, einen gewaltigen Wutschrei, jemand schlägt mir vor die Schulter, ich falle zur Seite. Dann ein Stöhnen, schlurfende Schritte, Schreie, Stimmen, aber keine Worte und hinter den Augen verwandelt sich alles von Rot in Schwarz.
Das Feuer stöhnt, als ich hineinfalle. Meine Arme und Beine funktionieren nicht. Ich kann mich nicht wegrollen. Ich zwinge mich, die Augen zu öffnen, und sehe, wie die nadelfeinen Aschefunken aufsteigen, winzige Lichtpunkte hochfliegen, hoch, hoch, rings um mich her. Durch die Flammen hindurch seh ich das Aufblitzen eines Messers, den überraschten Blick in Juniors Augen und seine Zahl flackert wie eine kaputte Neonleuchte.
Ein, aus. Ein, aus, ein. Aus.
Jemand schreit.
Die Flammen lecken an meinem Gesicht, füllen die Nasenlöcher mit dem Geruch von glühendem Fleisch.
Jemand schreit.
Das bin ich.
SARAH
Die ersten paar Tage vergehen in einem ruhigen, milchigen Dunst. Wenn sie schreit, füttere ich sie. Ich muss mich dazu zwingen, denn es schmerzt
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