Den Tod vor Augen - Numbers 2
werde ich sterben, und es macht mir nicht einmal was aus. Ich will nur, dass es aufhört, dass es vorbeigeht. Der Schmerz sitzt im Bauch und im Rücken, presst hinab bis in den Arsch. Ich werde in zwei Hälften zerreißen und verbluten.
Ich werde auf dem Fußboden im Badezimmer sterben wie ein Junkie, aber das ist mir auch recht. Alles ist besser als das hier, die Tortur, diese Höllenqual. Ich bin bereit zu sterben.
Vinny findet uns. Wir liegen noch auf dem Badezimmerboden. Ich hab es geschafft, mir ein paar Handtücher zu angeln und sie über uns zu legen wie Decken. Ich hatte Angst, ihr könnte kalt werden – meiner Tochter. Ich hielt sie eng an mich gedrückt, Haut an Haut, damit sie meine Wärme spürt. Sie weinte ein bisschen, hörte aber bald auf, dann sah sie mich an, mit ihren wunderschönen kornblumenblauen Augen, und ich küsste sie, küsste ihr kleines Gesicht, ihre kleinen Hände.
Meine Tochter.
Mein kleines Mädchen.
Mia.
ADAM
»Wahrheit oder Pflicht, ist ganz einfach.«
»Ich hab keine Lust auf irgendwelche Spielchen.«
»Wozu bist du dann hier?«
»Ich will dich loswerden. Ich will, dass du mich und meine Oma in Ruhe lässt.«
»Deine Oma ist viel zu Hause, stimmt’s? Sitzt immer nur auf diesem Stuhl in der Küche. Bewegt sich wohl nicht viel. Man könnte sagen, sie sitzt auf dem Präsentierteller.«
Auf der Rückseite vom Haus gibt es ein Fenster. Die Siedlung beginnt auf der anderen Seite der Mauer. Hunderte Fenster, die alle in unsere Richtung blicken. Und jeden Tag hatten wir eine Nachricht im Briefkasten.
»Ich will, dass das aufhört. Diese bescheuerten Drohungen. Sie hat nichts damit zu tun. Es geht nur um dich und mich. Also fangen wir an, lass uns offen und ehrlich kämpfen.«
Meine Stimme klingt mutiger, als ich mich fühle, aber so muss man mit Leuten wie Junior umgehen. Du musst ordentlich auf die Kacke hauen.
»Wenn du willst, kämpf ich gegen dich, aber vorher will ich ein paar Antworten. Ich will wissen, wieso du Leute so anstarrst. Ich will wissen, was du in dein Buch schreibst. Ich will wissen, wieso du diesen Kram über mich geschrieben hast.«
»Wahrheit?«
»Wahrheit.«
»Und was krieg ich dafür?«
»Ich pfeif die Jungs zurück. Hör auf, euer Haus zu beobachten.«
»Wieso soll ich dir glauben? Du holst dir doch offenbar einen runter dabei.«
»Ich mir einen runterholen? Weil ich seh, wie deine Oma sich zu Tode qualmt? Da kann ich auch zugucken, wie Farbe trocknet, Mann.«
»Dann gibst du mir also dein Wort?«
»Ja, Mann. Ich geb dir mein Wort.« Die andern beobachten uns. Die Luft sirrt vor Spannung, sie fragen sich, wie das Duell ausgeht, bereit, sich auf mich zu stürzen, sobald ich den ersten Schritt mache.
»Setzen wir uns«, sage ich, »und reden wie Männer, du und ich.«
Wir befinden uns in einem alten Lagerhaus. In einer Ecke haben sie ein Feuer angezündet und rings herum Kisten rangezogen. Wir setzen uns, einen Meter voneinander entfernt. Als er sich vorbeugt, spiegeln sich in seinen Augen die Flammen.
»Also los, spuck’s aus. Was sind das für Lügen, die du da schreibst?«
Du darfst es niemandem sagen. Niemandem. Nie. Aber vielleicht kann ich’s ja Junior erzählen. Er glaubt es doch sowieso nicht und für ihn macht es ja keinen Unterschied mehr. Er wird keine monatelangen Höllenqualen erleben, nicht wie Mum, denn heute ist sein letzter Tag.
Ich hole tief Luft.
»Wenn ich Menschen anschaue, sehe ich eine Zahl. Sie ist ihr Todesdatum. Klingt komisch, ich weiß, aber so ist es. Ich hab sie schon immer gesehen. Ich kann nichts dran ändern.«
»Dann siehst du also auch meine Zahl?« Er versucht mir was vorzuspielen, den Eindruck zu erwecken, dass er mir glaubt.
»Ja.«
»Und du hast sie aufgeschrieben, in dein Buch. Es ist die Zahl, die ich gesehen habe?«
»Ja.«
»Heute.«
Ich schweige. Es ist halb zehn, dunkel und kalt. Der Regen hämmert auf das Wellblechdach. Junior hat noch maximal dreieinhalb Stunden. Es scheint unwahrscheinlich. Seine Kumpel sind hier. Das heißt vier gegen einen.
Er sieht sich um und breitet die Arme aus.
»Und, wo ist er? Wie wird der Tod eintreten?«
Das ist gruselig, das ist krank.
»Wie wird er eintreten, Adam? Ich hab gelesen, was du geschrieben hast. Es gibt ein Messer, Blut. Wer wird es sein? Es ist niemand da außer uns. Es ist niemand hier, der gegen mich kämpfen will, nur du. Bist du’s? Wirst du mich töten?«
Zunächst mokiert er sich über mich, doch dann wird seine Stimme ernst. Die
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