Den Tod vor Augen - Numbers 2
Gewaltiges wird geschehen.«
»Zahlen?«
»Die Zahlen, die du siehst, wenn du jemanden anschaust. Du weißt schon.« Und dann begreife ich, sie hat mich angesehen, sie sieht mich jetzt an. Meine Zahl muss ihr förmlich ins Gesicht schreien.
»Zahlen?«, fragt sie wieder. »Wovon redest du?«
»Todesdaten. Du weißt schon. Du siehst sie doch auch.«
»Halt die Klappe. Ich seh keine Zahlen. Du kennst mich nicht. Du weißt gar nichts über mich.«
Und ich denke: Doch. Doch, das tu ich. Ich seh, wie sich deine Jahre vor uns ausbreiten. Ich spüre dich bei mir, spüre, wie wir uns lieben, du und ich.
Sie starrt mich an, aber es ist nicht mehr nur Hass in ihren Augen. Auch Angst. Selbst in der Kälte schwitzt sie.
»Halt die Klappe«, sagt sie. »Hau einfach ab.«
»Bitte, du bist der einzige Mensch außer mir, der es versteht. Bitte, lass uns reden.«
Sie hebt den Arm und schleudert den Stein in meine Richtung. Ich reiße die Hände hoch, um mich zu schützen. Zu spät – der Stein schneidet oben in meinen Kopf.
»Verdammt!«, schreie ich auf. Ich beuge mich vor und versuche, durch den Schmerz hindurch zu atmen, als vor mir alles rot und schwarz wird. Ich schaue auf und sehe, wie Sarah in die Seitenstraße verschwindet.
Ich versuche, mich aufzurichten, doch der Schmerz im Kopf ist wie ein Gewicht, das mich unten hält. Deshalb stolpere ich, wie ein Betrunkener torkelnd, hinter ihr her.
Als ich aus der Unterführung komme, sehe ich Häuserreihe um Häuserreihe, alle mit schmalen Wegen versehen, die auf der Rückseite zwischen den einzelnen Häusern entlanglaufen. Aber keine Spur von Sarah. Und ich will gerade aufgeben, als ich an einem der Wege in einem Müllcontainer einen Haufen Spraydosen entdecke. Ich schaue an den Rückseiten der Häuser entlang und glaube, ein Tor hin- und herschwingen zu sehen.
Es hängt nur noch halb in den Angeln. Der Hinterhof ist heruntergekommen und die Rückseite des Hauses sieht noch schlimmer aus. Zerbrochene oder vernagelte Fensterscheiben, fehlende Schieferplatten im Dach. Hier wohnt bestimmt keiner mehr.
Ich lehne mich an die Wand gegenüber und starre das Haus an. Wenn ich mich nicht rühre, tut der Kopf nicht so weh. Es juckt in meinem Gesicht. Ich hebe die Hand, um die Stelle zu berühren. Als ich die Finger wieder wegnehme, sind sie rot.
Etwas bewegt sich an einem der Fenster. Ich kann nicht sehen, wer oder was, aber da ist eindeutig jemand. Soll ich an der Hintertür klopfen? Nach vorn gehen? Warten?
Ich stehe noch da und frage mich, was ich tun soll, als die Hintertür aufgeht. Ein Typ kommt heraus. Er ist groß und dürr, der Typ aus dem Wagen. Er kommt auf mich zu und er hat einen Baseballschläger dabei.
SARAH
Ich bleibe unsichtbar oben am Fenster. Es steht ein paar Zentimeter offen, damit ich hören kann, was passiert. Ich musste Vinny erst wecken, aber ich brauchte ihn nicht lange zu überreden – er konnte sehen, wie verängstigt ich war.
»Was willst du hier?«, sagt er. »Verpiss dich.«
»Da drinnen ist jemand, mit dem ich reden will.« Der Klang von Adams Stimme verknotet mir den Magen.
»Ach ja? Aber sie will nicht mit dir reden.«
»Ich geh hier nicht weg«, sagt er. »Ich warte.«
Ich bewege mich ein winziges Stück, damit ich etwas sehen kann. Vinny ist dicht vor Adam stehen geblieben. Er ist zwar schlaksig, doch er wirkt, als ob er es ernst meint.
Mach schon, Vinny. Sorg dafür, dass du ihn loswirst. Jag ihm von mir aus Angst ein, wenn es sein muss, aber sorg dafür, dass er abhaut.
»Hör zu«, sagt er, »ich will nicht gewalttätig werden, doch du solltest keine Mädchen durch die Straßen jagen. Das ist nicht in Ordnung.«
»Gut und schön, aber vielleicht sollte sie dann nicht mit Sachen nach Leuten werfen und sie verletzen. Ich wollte ja nur mit ihr reden.«
Ich beuge mich noch ein bisschen weiter vor. Sein Gesicht ist voll Blut, ausgerechnet auf der Hälfte, die verbrannt ist.
»Hat sie dir das angetan?«
»Ja.«
»Du bist der Junge aus dem Krankenhaus, stimmt’s? Hör zu«, sagt er, »ich weiß nicht, was hier läuft, aber du solltest lieber verschwinden, bevor noch Schlimmeres passiert.«
»Ich verschwinde nicht. Es ist wichtig. Es geht um ihr Bild an der Mauer, in der Unterführung. Weißt du davon?«
Vinny verändert seine Position. Er weicht zurück, der Idiot.
»Ja, ich weiß Bescheid.«
»Sie hat mich da reingemalt. Ich bin auf dem Bild, an der Wand.«
»Du bist der aus ihrem Albtraum.«
Halt die Klappe, Vinny.
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