Den Tod vor Augen - Numbers 2
gehen jetzt.« Ich stopfe die Tüten unter den Wagen und zieh meine Jacke an.
»Du musst nicht gehen«, sagt Val.
»Hinter uns auf dem Sofa hat Adam die Augen noch immer geschlossen, aber er kann eigentlich nicht schlafen, nicht bei dem ganzen Lärm um ihn herum.
»Sie geht, Adam«, sagt Val zu ihm. »Willst du ihr nicht auf Wiedersehen sagen?« Da öffnet er endlich die Augen und sieht mich direkt an. Sein Gesicht ist leer. Als ob ich etwas in ihm getötet hätte.
Ich gehe einen Schritt auf ihn zu. So kann es doch nicht enden. Mit diesen Missverständnissen, die sich zwischen uns aufgehäuft haben.
»Adam«, sage ich, »es hat nichts mit dir zu tun, es …«
Er rammt seine Faust ins Sofa.
»Hör auf!«, schreit er. »Sag es nicht, nie, nie!«
»Okay, okay, ich geh ja.« Es hat keinen Sinn, mit ihm zu reden. Ich habe ihn so wütend gemacht, dass es besser ist, ihn in Ruhe zu lassen. Ich gehe zur Haustür und verkeile sie, damit ich mit dem Kinderwagen rauskomme. Es gelingt mir, ihn die Stufe hinunterzuholpern. Mia weint noch immer, doch ich kann sie nicht hochnehmen, ehe wir ein Stück von hier weg sind. Ich drehe mich um und will die Tür schließen, da steht Adam plötzlich im Eingang. Ich hab keine Ahnung, was er vorhat – ob er mich anschreien, mich schlagen, mich küssen will. Er steht unter Strom, hart an der Grenze. Seine Hände sind zu Fäusten geballt. Er schleudert mir die eine entgegen.
»Hier«, sagt er. Er dreht die Hand um und öffnet die Finger. Es sind ein paar Scheine und Münzen drin.
»Nein, sei nicht albern«, sage ich.
»Nimm es. Und verschwinde aus London. Es sind noch drei Tage Zeit. Bring Mia weg von hier. Weg von mir.«
Er schaut zu Boden, während er spricht. Doch als er »von mir« sagt, springt sein Blick hoch, trifft meinen und diesmal sind die Augen nicht tot oder leblos. Der Funke ist wieder da und es ist einer, den ich wiedererkenne – ein nadelscharfer Angstfunke tanzt in seinen Augen.
»Nimm es«, sagt er wieder und legt seine Hand auf meine. Die Berührung fühlt sich so warm an. Mein Körper reagiert sofort: Ich werde ganz rot und spüre einen süßen Schmerz zwischen den Beinen. Ich will nicht mehr fort. Ich will hierbleiben und ankämpfen gegen das, was versucht uns auseinanderzureißen. Ich will sein verbranntes Gesicht berühren, es küssen, damit er weiß, dass es mich nicht stört.
»Was hast du vor?«
»Ich werde Alarm schlagen. Ich muss dafür sorgen, dass die Menschen London verlassen.«
»Allein?«
»Ja, keine Ahnung, egal.«
Wir stehen auf einmal da, als ob ein Geschäft zwischen uns noch nicht abgeschlossen wäre. Ich habe das Geld genommen, aber er hat seine Hand noch nicht weggezogen. Und ich will auch nicht, dass er die Hand wegzieht.
»Ich könnte dir helfen«, sage ich.
Jetzt sehen wir uns an und für ein, zwei Sekunden frage ich mich, ob er denkt, was ich denke – dass wir dafür bestimmt sind, zusammen zu sein, dass wir das hier gemeinsam schaffen können.
Er löst die Hand von meiner und berührt sanft mein Gesicht, so wie ich einmal seins berührt habe.
»Nein«, sagt er und seine Stimme ist leise und schroff. »Du musst weg von hier. Das ist das Beste, was du tun kannst. Bring Mia irgendwohin, wo es sicher ist.«
Er hat Recht. Ich habe es die ganze Zeit gewusst. Die einzige Möglichkeit, der Zukunft, meinem Albtraum zu entkommen, besteht darin, mich am 1. Januar nicht in der Nähe von Adam aufzuhalten.
»Okay«, sage ich. »Dann geh ich. Aber ich bleib mit dir in Verbindung, ja? Vielleicht können wir, wenn das hier alles vorbei ist …«
Ich kann mir nicht vorstellen, was nach Neujahr sein wird. Ich weiß nicht, wie die Welt danach aussehen wird. Ich weiß nicht, ob dann überhaupt noch einer von uns lebt. Adam weiß es. Er hat meine Zahl gesehen.
»Adam …?«
»Ja.«
Plötzlich merke ich, dass ich gar nicht wissen will, ob ich noch eine Woche, einen Monat oder ein Jahr habe. Er hat gesagt, er würde es mir nie sagen, und er hat Recht. Es ist so am besten. Ich will mein eigenes Todesdatum nicht wissen.
»Pass auf dich auf.«
Mein Gesicht schießt vor und ich küsse ihn auf die Wange, die mit den Narben. Er schließt die Augen, ich dreh mich um und lauf schnell den Weg entlang. Schau nicht zurück. Schau nicht zurück. Ich kann es nicht ändern – ich sehe über die Schulter, er steht noch im Eingang. Die Augen sind jetzt geöffnet und er steht da, beobachtet mich. Er hebt den Arm, fährt sich mit dem Ärmel über die
Weitere Kostenlose Bücher