Den Tod vor Augen - Numbers 2
Eine Massenevakuierung läuft. In London gibt es eine große Protestveranstaltung auf dem Grosvenor Square wegen der Kriegsdrohungen der Amerikaner gegen den Iran. Wir wissen alle, dass der Iran Atomwaffen besitzt. Wie dämlich muss die Präsidentin sein, die Iraner zu reizen? Hat sie denn nichts aus dem Irak, aus Afghanistan und Nordkorea gelernt? Ganz am Ende berichten sie von dem Erdstoß, den Adam in der Oxford Street gespürt hat. Es ist ein eher harmloser Beitrag, so nach dem Motto »Und zum Schluss noch …« mit ein bisschen Bildmaterial von einer Handykamera und ein paar Interviews mit Leuten, die dabei waren.
Nach den Nachrichten kommt eine schrottige Sitcom. Wir sitzen alle drei vor dem Bildschirm, aber keiner schaut hin.
»Ich glaube, es wird ein Erdbeben sein, Oma«, sagt Adam. »Oder auch eine Bombe, eine Bombenserie.«
»Die Japaner machen es richtig«, sagt sie. »Die reden nicht lange rum.«
»Na ja, die haben Vulkane, die wären ja bescheuert, wenn sie die Leute nicht evakuieren würden.«
»Ja, aber wir haben dich. Du warnst uns vor der Gefahr. Die Menschen sollten dir zuhören. Sie sollten endlich anfangen, die Stadt zu verlassen.«
»Das ist nicht dasselbe. Ich hab auch schon überlegt, wie ich die Menschen erreichen, wie ich auf mich aufmerksam machen könnte. Vielleicht mit einem Spruchband und dann rauf auf den Gherkin, die Tower Bridge oder so was.«
»Da passiert das Gleiche wie mit meinem Bild«, sage ich. »Niemand achtet drauf. Alle denken bloß, du bist verrückt. Du musst auf die großen Info-Bildschirme in der Stadt. Wie viele gibt es davon? Tausend? Oder mehr? Die haben was Offizielles. Die Leute beachten sie. In die musst du dich reinhacken.«
»O Gott, ja, du hast Recht. Wenn die Stadtverwaltung oder die Regierung nichts tut, dann muss ich es eben machen. Ich muss ihre Infowände entern.«
»Weißt du denn, wie?«
»Nein, aber ich kenn jemanden, der es weiß.«
Er ist auf einmal ganz aufgeregt, wippt mit dem Fuß auf dem Boden. Seine Augen leuchten.
»Ich werd mal versuchen, ihn anzurufen.«
Ich lass ihn allein. Für Mia ist es Zeit zu schlafen, genau wie für mich. Adam hat mir sein Zimmer überlassen, sagt, er pennt auf dem Sofa. Es ist mir peinlich, doch er besteht darauf. Ich stille Mia noch mal vor dem Schlafen, dann lege ich sie in eine Schublade auf dem Boden, genau wie in dem besetzten Haus. Ich schalte das Licht aus und versuche, die Augen zu schließen. Ich muss daran denken, wo Vinny wohl ist. Adam hat gesehen, wie Vinny abgeführt wurde. Bei dem Gedanken, er könnte irgendwo in einer Gefängniszelle liegen, möchte ich schreien. Das hat er nicht verdient, nicht Vinny.
Ich denke an den Regen, den Wind, daran, wie ich Zuflucht in der Unterführung suchte. Und ich denke an Adam, daran, wie wir immer wieder voneinander angezogen werden. Und jetzt bin ich hier, in seinem Zimmer. Ich hatte mir geschworen, mich von ihm fernzuhalten, aber genau das Gegenteil habe ich getan. Noch ist nicht Neujahr, noch nicht, deshalb werde ich heute Nacht genießen, sicher im Warmen liegen, und schlafen, so lange Mia mich lässt.
ADAM
Ich höre sie im Schlaf. Ihr Schreien schneidet in meine Träume und zieht mich an die Oberfläche. Es ist ein schreckliches Geräusch, es zerrt an mir. Ich weiß, noch ehe ich richtig wach bin, dass es Sarah ist. Ich schiebe die Decke zur Seite, jage die Treppe hinauf zu meinem Zimmer und klopfe leise an die Tür. Sie hört mich nicht – dafür macht sie selbst zu viel Lärm.
Ich öffne die Tür und gehe hinein. Sarah sitzt senkrecht im Bett, beide Arme weit nach vorn gestreckt. Ihre Augen sind geöffnet und sie schreit immer wieder Mias Namen. Mia liegt in der Schublade auf dem Boden und schläft seltsamerweise noch.
»Beruhige dich, Sarah«, sage ich von der Tür her. »Mia ist hier. Es geht ihr gut.«
Sie dreht sich nicht um, sieht mich nicht an, aber sie hat mich gehört.
»Nein!«, beharrt sie. »Sie ist da drin. Sie ist allein dort. Hilf mir. Hilf mir!« Sie fängt an zu schluchzen. Ihre Augen mögen ja vielleicht offen sein, trotzdem ist sie nicht wach – sie steckt ganz tief in ihrem Albtraum.
Ich gehe hinüber zum Bett und setze mich auf den Rand der Matratze. Vorsichtig berühre ich Sarahs Arm.
»Sarah«, sage ich. »Es ist ein Traum, nur ein Traum. Du musst aufwachen.«
Sie schluchzt noch immer.
»Sarah«, sage ich, diesmal lauter, »wach auf. Wach endlich auf. Es ist nur ein Traum.« Ich packe fester ihren Arm und schüttel
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