Den Tod vor Augen - Numbers 2
mal damit angefangen habe, ist es, als ob ich gar nicht mehr aufhören kann. Irgendwann nehme ich den Stuhl, der an der Tür steht, und schleudere ihn durchs Zimmer. Die Rückenlehne bricht ab, als er gegen die Wand kracht. Ich laufe weiter herum, schlagend und schreiend, bis alles Adrenalin verpufft ist und ich plötzlich merke, wie erbärmlich ich bin.
Ich lasse mich neben dem Bett auf den Boden fallen und lehne mich gegen Adams Nachttisch. Er drückt mir in den Rücken, doch ich bin zu erschöpft, um mich zu rühren. Meine Kehle ist rau vom Weinen und Schreien. Was hat das Ganze genützt? Was hab ich erreicht? Nichts davon hat mich einen Schritt näher zu Mia gebracht. Sie ist irgendwo da draußen, ohne mich. Vermisst sie mich überhaupt? Hat sie gemerkt, dass ich nicht mehr für sie da bin?
Ich schaue mich um, nach irgendwas, das mich auf der Stelle ablenkt von meinem Selbstmitleid. Das Zimmer ist voller Jungsdinge – Plakate, Haufen alter Wäsche, Turnschuhe, die rumliegen. Irgendwas liegt unter dem Bett, ein Buch vielleicht. Wahrscheinlich irgendwas Pornomäßiges – so was haben Jungs doch unterm Bett, oder? Ich ziehe es mit dem Fuß über den Teppich zu mir und merke, wie mir ein leichter Schauer über den Rücken läuft. Es ist kein gedrucktes Buch und auch keine Zeitschrift – es ist ein Notizbuch. Das Notizbuch, mit dem ich Adam gesehen habe, an diesem allerersten Tag in der Schule.
Ich hebe es auf und nehme es in die eine Hand, mit der andern wische ich Staub und Fusseln ab.
Ich weiß, es ist seins.
Ich weiß, es ist privat.
Ich sollte nicht reinschauen.
Ich öffne das Buch.
Seine Schrift ist unordentlich. Die Buchstaben laufen ineinander und sind stark nach rechts geneigt. Die waagrechten Linien im Buch sind gedruckt, er selbst hat Seite um Seite senkrechte Linien gezogen, um Spalten zu bilden, und Namen, Daten, Beschreibungen und noch mehr Daten eingetragen. Seitenlang.
Ich fahre nur eine Seite hinab.
»Junior, 04/09/2027, in der Schule, gewalttätig, ein Messer, der Geruch nach Blut, Übelkeit, 06/12/2027.
Junior. Seinetwegen ist Adam verhaftet worden. Adam hat am 4. September in diesem Buch seinen Tod notiert, drei Monate bevor Junior tatsächlich starb.
Das ist Sprengstoff. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob Adam ihn getötet hat oder nicht, aber das hier könnte ihm zum Verhängnis werden.
Ich blättere die Seite um und schnappe nach Luft, als ich den Namen in der linken Spalte lese.
»Sarah.«
ADAM
Ich schaff das nicht. Es sind noch zwei Tage und ich sitze in einer Zelle. Irgendwo im Hinterkopf habe ich immer gewusst, dass sie mich für Junior drankriegen werden. Wieso auch nicht? Ich hab sein Todesdatum aufgeschrieben – im Palm-Net, in Dads Computer, in meinem Buch. Es existiert. Ich kann es nicht leugnen, und wie soll ich jemandem begreiflich machen, dass ich seinen Tod nicht geplant habe, obwohl ich das Datum kannte? Wer soll mir das glauben?
Ich wusste, dass sie mich drankriegen würden, aber ich hab nicht gedacht, dass es ausgerechnet jetzt passiert. Ich hatte gedacht, ich würde bei Oma sein, bei Sarah, ihnen helfen, nach Mia suchen, sie schützen. Mir ist, als hätte ich sie im Stich gelassen. Ich bin nicht für sie da.
Die Bullen sagen, morgen werde ich dem Haftrichter vorgeführt und, wie es aussieht, wird er mich bis zur Verhandlung in Untersuchungshaft stecken. Gott weiß, wie lange ich auf den Prozess warten muss.
Und die Männer in ihren Anzügen sind wieder da. Kurz bevor sie mich hier einbuchten, kommen die zwei in den Verhörraum – der Dicke und der mit den roten Haaren.
»Am Grosvenor Square auftauchen«, sagt Fettwanst, »keine gute Idee. Jetzt siehst du, was du für eine Panik ausgelöst hast. Du und deine ›Freunde‹. Wir wissen, wer sie sind: Sarah Halligan, Val Dawson und Nelson Pickard. Wir wissen, wo Sarah und deine Großmutter sind« – mein Magen schlingert und ich spür, wie Angst in mir hochsteigt –, »aber Nelson, wo ist er, Adam? Wo ist Nelson?«
Ich schüttle den Kopf.
»Du weißt es nicht oder du sagst es nicht? Du steckst in ziemlichen Schwierigkeiten. Wir könnten dir vielleicht … helfen.«
Ein Hoffnungsschimmer. Vielleicht ist das die Chance, nach Hause zu kommen.
»Mich hier rausholen?«
Er schüttelt den Kopf. »Du bist wegen Mordes angeklagt, Adam. Wir können dich hier nicht rausholen. Nein, aber wir könnten dir das Leben erleichtern, dafür sorgen, dass du zum Beispiel in ein Krankenhaus gebracht wirst. Wegen
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