Den Tod vor Augen - Numbers 2
brennende Buch ins Spülbecken fallen. Val und ich stehen da und sehen, wie sich die Seiten einrollen, von der Hitze gequält, bis nur noch ein Haufen schwarzer und grauer Flocken übrig ist. Schließlich schaufle ich sie mit bloßen Händen in den Mülleimer.
»Weg«, sagt sie. »Danke, Sarah.«
Ich halte die Hände unter den Wasserhahn, reibe an ihnen herum, um die Aschereste loszuwerden, die an der Haut kleben. Wenn ich doch auch den Inhalt des Buchs so einfach fortspülen könnte. Aber der ist jetzt in meinem Kopf, so wie er lange in Adams Kopf war – Todesurteile, Zahlen, meine eigene Zahl und die von Mia.
01/01/2028.
Oh.
Mein.
Gott.
ADAM
Vorn im Gerichtssaal sitzen drei Steifböcke in Anzügen auf einer erhöhten Plattform hinter einer Art Tisch – zwei Männer und eine Frau. Die Frau sitzt in der Mitte und es sieht so aus, als ob sie die Leitung hat. Sie trägt ein schrillrotes Jackett und eine streng wirkende Brille mit schwarzem Rand.
Vor der Front mit den Richtern stehen noch ein paar Tische und hinten an der Wand gibt es eine kleine Trennwand mit ein paar Stuhlreihen dahinter. Dort sitzt ein Typ mit Notizbuch und dort entdecke ich auch Oma und Sarah.
Ich hatte nicht mit ihnen gerechnet. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie hier sein könnten.
Ich will nicht, dass sie mich so sehen.
Ich kann sie nicht anschauen.
Oma hebt den Kopf und fängt an zu winken, doch ich dreh mich in die andere Richtung und gehe vorbei.
Ich werde zu einem Platz neben meiner Anwältin geführt. Sie lächelt mich an, als ich mich hinsetze, und drückt leicht meinen Arm.
»Alles okay?«, fragt sie.
Ich kann nicht antworten. Ich bin wie betäubt. Ich kann nicht glauben, dass mir das widerfährt.
Die Rotjacke sagt: »Also, fangen wir an«, und der Heini in seinem schlecht sitzenden Anzug steht auf und schleudert mir Fragen entgegen. Name? Adresse?
Ich murmele meine Antworten und danach lesen sie die Anklage vor.
Mord.
Sie reden weiter, aber ich weiß nicht, worüber. »Einweisung … Untersuchungshaft … Voruntersuchung …«
Schließlich stehen alle auf, die Wärter sind wieder da und ich werde abgeführt. Was nun? Was passiert jetzt?
Meine Anwältin beugt sich zu mir rüber. »Ich komme nach Sydenham. Morgen oder übermorgen. Dann können wir reden.«
»Sydenham? Wo ist das? Was geht hier vor?«
»Eine Einrichtung für jugendliche Straftäter«, sagt sie. »Dort wirst du bis zur Verhandlung bleiben. Verhalt dich ruhig. Mach keine Dummheiten. Ich komme morgen …«
Oma reckt sich über die Absperrung, als ich vorbeigeführt werde. Der Wärter hält sie zurück und schiebt mich weiter, dass ich fast stolpere.
»Adam …«, ruft sie, aber es bleibt keine Zeit. Ruck, zuck bin ich draußen, die Treppe hinunter und wieder in der Zelle. Sie nehmen mir die Handschellen ab, dann schlägt die Tür zu und ich höre die Schritte des Wärters den Gang entlanghallen.
»Was passiert hier? Was passiert hier mit mir?«
Ich schlage gegen das Gitter. Es hieß doch, ich werde irgendwo hingebracht und jetzt bin ich wieder hier.
Die Schritte verstummen.
»Ruhe da drinnen. Wir verlegen dich, sobald ein Wagen bereitsteht. Es herrscht ein verdammtes Chaos heute in London. Wart’s ab und halt den Mund.«
Wie soll ich abwarten? Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Ich spüre im Kopf, wie die Sekunden ticken, ein unaufhaltsamer Countdown.
Die Uhr im Gericht hat halb zwölf gezeigt. Nur noch etwas mehr als zwölf Stunden bis Neujahr. Was machen Oma und Sarah jetzt? Was soll ich tun, weggesperrt in einer beschissenen Zelle?
SARAH
Silvester. Val und ich verbringen den Morgen im Gericht und den Nachmittag am Telefon. Ich rufe die Kinderfürsorge an und versuche herauszufinden, wo Mia ist. Val ruft die Polizei, Adams Anwältin und jeden an, der ihr einfällt. Es ist für uns beide, als ob wir gegen eine Wand reden. Alle sagen, dass Abläufe eingehalten werden müssen und das seine Zeit braucht.
Mir wird gesagt, dass es »innerhalb der nächsten Woche oder so« eine Anhörung gibt. Morgen ist Feiertag, also wird nur ein Bereitschaftsdienst da sein, der sich um Notfälle kümmert.
»Aber das ist ein Notfall.«
»Ihre Tochter ist in Sicherheit. Es wird für sie gesorgt. Nach dem Feiertag rufen wir Sie wegen der Anhörung an. Es wird wahrscheinlich eine von mehreren sein. Wir müssen uns ein vollständiges Bild von Ihnen, Ihren Lebensumständen und Ihrem Verhalten als Mutter machen. Realistisch betrachtet
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