Denen man nicht vergibt
Panik kriegen würde. Geschweige denn, es jemandem weitererzählen.«
»Stimmt auch wieder. Also, wenn in der Probe DNA festzustellen ist, dann ist das unser erster richtiger Durchbruch. «
10
Chicago
Nick war noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen. Na ja, vielleicht an dem Tag, als sie ihr Diplomzeugnis feierlich überreicht bekommen hatte, aber damals war ihr eher eine ganze Gerölllawine vom Herzen gefallen, Erleichterung also und nicht ein Gefühl seligen Glücks so wie jetzt. Und das lag an ihrem Verlobten, John Kennedy Rothman, US-Senator von Illinois. »Weder verwandt noch verschwägert«, hatte er ihr vor drei Jahren, als sie als blutjunge Wahlhelferin in seinen Wahlkampf einstieg, erklärt. Das war, bevor ihm seine Frau, Cleo Rothman, mit seinem Seniorberater, Tod Gambol, davonlief. Und weil jeder wusste, wie sehr er an seiner Frau hing, war er, der so schnöde verlassene Ehegatte, mit einer überwältigenden Mehrheit von 58 zu 42 Prozent wieder ins Amt gewählt worden. Seinen Gegner hatte man der Wählerschaft als zu liberal für das Wohl des Staates Illinois, um nicht zu sagen, des ganzen Landes, hingestellt, was eigentlich gar nicht stimmte. In Wahrheit jedoch hatte John nur deshalb einen so überwältigenden Sieg davongetragen, weil er sich darauf verstand, den Menschen in die Augen zu sehen und sie glauben zu machen, dass er in allem, egal, was es war, sein Bestes gab.
Und jetzt würde sie seine Frau werden. Ganz schwindlig wurde ihr bei dem Gedanken. Er war zwar fast zwanzig Jahre älter als sie, aber das war ihr egal. Sie hatte keine Eltern mehr, die Einwände erheben konnten, nur noch zwei Brüder, beide Kampfpiloten, beide in Europa stationiert, beide jünger als sie.
Mittlerweile war sie ein alter Hase, was den Wahlkampf betraf; sie konnte sich also vorstellen, wie es war, im Blickfeld der Öffentlichkeit zu leben. Aber noch war ihr die Reportermeute nicht auf die Spur gekommen, und sie hoffte inbrünstig, dass das auch noch eine Weile so blieb, zumindest, bis sie mit John verheiratet war und nur noch hinter ihn treten, lächeln und winken musste.
Es war Abend und bereits dunkel, und der Wind peitschte ihr die Haare ins Gesicht, was nicht weiter verwunderlich war, denn dies war schließlich Chicago. In den Straßenschluchten von Chicago, wenn der Wind vom Lake Michigan zwischen den Wolkenkratzern hindurchpfiff, wurde die Luft oft so kalt, dass einem die Knochen im Leib schlotterten und die Zähne klapperten. Sie zog den Kopf ein und schritt schneller aus. Gleich war sie zu Hause, nur noch ein Block. Wieso hatte sie eigentlich kein Taxi genommen? Ach, Unsinn. Wenn sie zu Hause war, würde sie ein schönes Feuer in ihrem kleinen Kamin entzünden, sich in die dicke rote Wolldecke wickeln, die ihr ihre Mutter vor acht Jahren gestrickt hatte, und sich ein paar Essays ihrer Geschichtsstudenten vornehmen.
Sie trat an die Bordsteinkante, schaute links und rechts, und als kein Auto zu sehen war, trat sie auf die Straße. Alles geschah so schnell, dass ihr erst, als sie in ihrer Wohnung war, richtig klar wurde, was geschehen war. Ein schwarzes Auto, ziemlich groß, ein Viertürer, kam ohne Licht auf sie zugerast, direkt auf sie zu. Sie sah, dass das Auto schneller statt langsamer wurde und keine Anstalten machte, auszuweichen. Nein, der Wagen kam direkt auf sie zu, würde mit ihr zusammenprallen. Sie warf sich zur Seite, fiel gegen einen Feuerhydranten und prellte sich die Hüfte. Sie spürte die heiße Luft, roch den sauren Gestank des Reifengummis, als der Sedan an ihr vorbeiraste. Sie lag nur, mit schmerzhaft pochender Hüfte, und fragte sich, warum niemand sonst zu sehen war. Nun, kein Mensch war so blöd, bei diesem Wetter draußen herumzulaufen. Mein Gott, würde das Auto wenden und noch mal kommen?
Sie erhob sich mühsam, versuchte, zu rennen, musste aber über die Straße humpeln, so schnell es eben ging. In der Gasse neben ihrem Wohnhaus stand ein Penner. Er hatte alles mitangesehen.
»Verrückter Scheißkerl«, lallte er, hob eine Flasche an die Lippen und trank einen herzhaften Schluck.
Sie tastete zittrig nach ihrem Hausschlüssel, schaffte es schließlich, ihn ins Schloss zu bekommen, und fiel fast in den Eingangsbereich. Sie war derart verängstigt, dass sie einen Moment lang nur dastehen, nach Luft ringen und sich an eine riesige Zimmerpalme klammern konnte. Mrs. Kranz, eine Nachbarin, war ebenfalls da. Die alte Dame, Witwe eines Chicagoer Feuerwehrmanns, half ihr in die
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