Denen man nicht vergibt
Sie haben mir echt geholfen.«
Sie nickte. »Kaum zu glauben, dass es erst so kurze Zeit her ist. Es muss wirklich schwer für Sie sein.«
»Ja.« Er schwieg, um nicht die Fassung zu verlieren. Verflucht, es war wirklich hart. »Für Sie ist’s auch nicht einfach.«
Zu seiner Überraschung sagte sie: »Ich weiß noch, wie mein Vater starb - es war ein Jagdunfall irgend so ein Idiot oben in Michigan hat ihn mit einem Hirsch verwechselt. Sein Tod kam so plötzlich, so vollkommen unerwartet, da weiß man erst mal gar nicht, wie man damit fertig werden soll.«
»Ja«, sagte Dane, die Augen auf die vor ihm liegende Straße gerichtet. »Ich weiß. Wie alt waren Sie, als Ihr Vater
starb?«
»Fast zweiundzwanzig. Es war echt schlimm, weil meine Mutter erst zwei Jahre zuvor gestorben war. Klar, ich habe Freunde, aber das ist nicht dasselbe.«
Langsam sagte er: »Als Freundin hab ich Sie nie betrachtet.«
Seine Worte verletzten sie zutiefst. »Ich dachte, wir hätten genug miteinander erlebt, um Freunde zu werden, oder nicht?«
»Nein, Sie missverstehen mich«, sagte Dane. »Sie sind für mich mehr als eine Freundin. Sie sind jemand, der für mich da ist, der mich versteht, der mir was bedeutet.«
Sie schwieg einen Moment; Dane kam es wie eine Ewigkeit vor. Dann sagte sie: »Ich glaube, das sehe ich ähnlich.«
Dane lächelte und bremste ein wenig, um ein Auto auf den Freeway fahren zu lassen. »Sagen Sie mal, haben Sie sonst gar keine Verwandten mehr?«
»Doch, ich habe noch zwei jüngere Brüder, beide Piloten bei der Air Force. Sind in Europa stationiert. Fragen, Fragen, Fragen. Versuchen Sie, mich reinzulegen? Ist das eine von Ihren berühmten FBI-Strategien, um arme Schweine wie mich dazu zu kriegen, Ihnen ihr Herz auszuschütten?«
»Keineswegs. Wenn ich Sie wirklich aushorchen wollte, würde ich das so raffiniert machen, dass Sie’s gar nicht merken würden, bis es zu spät ist.«
»Ich habe noch zwei Onkel, die bei einer Ölbohrfirma in Alaska arbeiten.«
»Tut mir Leid, das mit Ihren Eltern.«
»Danke. Ich glaube, sie waren beide überrascht, als ich meinen Do... - ach, nicht weiter wichtig.«
Das glaubt auch bloß sie, dachte er. »Was halten Sie von Savich und Sherlock?«
»Sherlock hat mir ein Foto von Sean gezeigt. Er ist total süß.«
»Sean ist jetzt fast ein Jahr alt und stellt die ganze Wohnung auf den Kopf. Er plappert in einer Sprache, die ein hoch entwickelter Code aus der Raketentechnik sein muss. Behauptet jedenfalls Savich. Ich bin Onkel Dane, bloß klingt’s bei dem Kleinen ein bisschen anders.«
»Es ist kaum vierundzwanzig Stunden her, aber mir kommt’s vor, als kenne ich sie schon viel länger. Fast wie bei Ihnen, aber nicht ganz.«
»Ich weiß, was Sie meinen.«
»Wie lange sind Sie schon beim FBI?«
»Seit sechs Jahren. Hab ursprünglich Jura studiert und dann in einer großen Kanzlei gearbeitet. Ich hab’s gehasst. Wusste genau, was ich wollte.«
»Ein Rechtsanwalt. Hätte ich nie gedacht.«
»Sie meinen, ich komme Ihnen nicht opportunistisch genug vor?«
»So ähnlich.« Ein Rechtsanwalt, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Rechtsanwalt und FBI-Agent. Fast wäre ihr das mit ihrem Doktortitel rausgerutscht. Anscheinend brauchte er sich nicht einmal große Mühe zu geben, um Informationen aus ihr rauszuholen.
Nick erzählte nichts mehr über sich, schaute aus dem Seitenfenster und beobachtete die vorbeifliegende Landschaft. Es wurde jetzt, je höher sie kamen, zunehmend grüner.
Schließlich erreichten sie den Bear Lake. Auf einer etwa fünfzehn Meter über dem See gelegenen, grasigen Anhöhe lag, inmitten dichter, dunkelgrüner Tannen, ein hübsches zweistöckiges Gebäude aus altem, verwittertem Holz mit Fenstertüren und kleinen Terrassen, die zur Seeseite hinausgingen. Mehrere Stege führten etwa fünfzehn Meter weit in den See hinaus, auf dessen stillem blauem Wasser ein halbes Dutzend Kanus und mehrere Motorboote ankerten. Hübsche, weiß gestrichene Liegestühle und Bänke standen auf dem gepflegten Rasen. Aber jetzt war Winter, und obwohl es draußen gut zehn Grad hatte, schien niemand die milde Luft genießen zu wollen.
Sie ließen ihren Mietwagen, einen kirschroten Pontiac Grand Am, auf einem kleinen, zwischen Tannen versteckten Parkplatz stehen und folgten einem mit Steinplatten ausgelegten Pfad zum unauffälligen Eingang des Seniorenheims.
Nick schaute zum strahlend blauen Himmel hinauf, beobachtete die vorbeiziehenden Kumuluswolken und ließ die
Weitere Kostenlose Bücher