Denk an unsere Liebe
Sie das?“
„Was… was tun Sie jetzt mir ihr?“
„Penicillin alle vier Stunden. Viel Nachtruhe wird das ja nicht.“
„Ach, Dr. Lambert, erlauben Sie mir, zu wachen. Ich werde Sie auf die Sekunde genau wecken, wenn Sie die Spritzen selbst geben wollen. Erlauben Sie es mir, bitte. Ich möchte so gern ein klein wenig von dem Schaden gutmachen, den ich verursacht habe.“
Toni bettelte und flehte, und zum Schluß ging Lambert darauf ein, vorausgesetzt, daß der Chefarzt und die Oberschwester es zuließen. Es klappte, nicht zum geringsten deswegen, weil die Schwestern vor Arbeit zersprangen und es sehr schwierig war, plötzlich eine zusätzliche Nachtwache herbeizuschaffen.
Toni litt mehr in diesen zwei Nächten, die sie an Fräulein Hallgrens Bett saß, als sie jemals zuvor gelitten hatte. Die schrecklichen Gewissensbisse, und die Einsamkeit! Die furchtbare Einsamkeit, und als es ihr zum Bewußtsein kam, wie grenzenlos sie sich nach einer Schulter sehnte, an der sie sich ausweinen konnte – richtiger gesagt nach Eivinds Schulter, sonst keiner in der Welt –, da wurde die Sehnsucht noch größer.
Am andern Morgen war die Gefahr vorüber. Das Penicillin hatte Wunder gewirkt. Fräulein Hallgren war unverkennbar auf dem Wege der Besserung.
Es war ein Sonntag. Und Toni ging hinauf in ihr Zimmer und fiel ins Bett.
Sie schlief bis in den Nachmittag hinein. Da fühlte sie sich ausgeruht, aber steif in den Gliedern. Es war hohe Zeit, daß sie sich etwas Bewegung machte.
Sie ging unter die Dusche und kleidete sich an. Dann schaute sie in die Küche hinein – die Oberköchin war ihre verschworene Freundin –, und so bekam sie etwas Aufgewärmtes zugeschanzt, aß es in Eile und ging dann aus.
Die Luft war klar, kühl und still. Und es war Sonntagnachmittagsstimmung, wenig Menschen auf den Straßen. Etwas Ausgestorbenes lag über der Stadt an einem solchen Sonntagnachmittag.
Die Straßen waren einsam, und Toni war einsam. Sie ging an Häusern mit erleuchteten Fenstern vorbei, an einigen hatten sie vergessen, die Vorhänge zuzuziehen, und so bekam sie kleine Einblicke in Heime mit lebenden Menschen, mit Familienleben. In einem Zimmer saß eine Familie rund um den Kaffeetisch, in einem anderen saß ein Mann und las, während die Frau strickte und der Schein der Leselampe das Zimmer heimelig machte.
Toni sehnte sich so, daß sie hätte aufheulen können.
Und ehe sie es wußte, ging sie rasch und atemlos in Richtung auf ihr und Eivinds Heim.
Sie klammerte sich nur an den einzigen Gedanken: Sie hatte doch beim Packen den blauen Morgenrock vergessen – sie brauchte ihn, und da war doch nichts Auffallendes, daß sie kam und ihn holte – nicht die Spur!
Sie waren ja keine Feinde, sie und Eivind! Er würde sie sicher nett empfangen. Vielleicht würde er sie bitten, eine Tasse Kaffee zu kochen – er würde sagen: „Nein, wie nett, dich zu sehen, Toni, ich habe dich so vermißt.“ – Vielleicht würde er – vielleicht würde er…
Und bei dem Gedanken an all das, was er vielleicht würde, schwindelte es Toni.
Ihr Herz saß ganz oben im Hals, als sie im Wohnzimmer Licht sah. Er war also jedenfalls zu Hause.
Und die Sorgen und die Scham und der Schmerz der letzten Tage stürzten über ihr zusammen. Jetzt, gerade jetzt, gerade heute mußte sie eine Schulter haben, an der sie sich ausweinen konnte – eine Hand, die ihr übers Haar strich, sie mußte, mußte sich an Eivind schmiegen, wenn auch nur für eine Minute.
Dann klingelte sie an der wohlbekannten Tür, und sie hörte Eivinds Schritte. Die Türe wurde geöffnet.
Toni wollte etwas sagen – etwas Einfaches und Natürliches. Etwas leicht Munteres, etwas halb Ironisches… aber plötzlich konnte sie nicht. Sie stand nur im Halbdunkel des Ganges und blickte Eivind an.
„Ach Toni, bist du das? Komm herein, du siehst müde aus, finde ich. Laß mich deinen Mantel abnehmen.“
Mit freundlicher Hilfsbereitschaft nahm er ihren Mantel und hängte ihn an den Haken und nahm ihren Hut entgegen, den sie ihm reichte. Dann öffnete er die Tür zum Wohnzimmer.
„Hast du noch eine Tasse Kaffee, Siv? Wir haben Besuch bekommen.“
Aus dem Halbdunkel des Zimmers erhob sich eine schlanke Gestalt – Siv, in einem einfachen graublauen Kleid, das sie großartig kleidete. Sie hatte eine neue Frisur, das Haar war aufgerollt und machte sie erwachsener. Die spröde Jungmädchenaura war fort. Sie war von einer schmiegsamen Weiblichkeit und harmonisch in ihren
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