Denkanstöße 2013
gelegentlich vertrat) war hingegen oft verzweifelt über die Unzulänglichkeiten der jungen Pianistinnen und Pianisten, die sich in der Hofgärtnerei vorstellten. Sie seien bloà »Ungeziefer«, schimpfte er, und indem er sie vor die Tür setze, tue er für Liszt dasselbe wie für seinen Hund, wenn er ihn von seinen Flöhen befreie. Und eine Pianistin, die sich hilflos an Liszts Mazeppa- Etüde abmühte, fuhr er an: »Das einzige, was Sie für dieses Stück qualifiziert, ist Ihre Pferde-Natur!« Auch Lina Ramann berichtet, es habe »sehr viel Ausschuë unter den Schülerinnen und Schülern gegeben:
»Unter den gegenwärtig in Weimar anwesenden Pianisten dürfte kaum Einer befähigt sein, auch nur annähernd zu begreifen, was der Meister giebt und was seine Lehre bedeutet. Intelligenzlosigkeit und dabei eine gerimge technische Bildung bildet den Durchschnittsgrad ihrer Befähigung.«
Das Prinzip, nach dem Liszt unterrichtete, war das einer Meisterklasse; Arthur Friedheim hat es ziemlich detailliert beschrieben:
»Liszts Unterrichts-System, wenn man es überhaupt so nennen will, folgte keiner klassifizierbaren Methode. Manchmal war er absolut akademisch, dann wieder erstaunlich nachgiebig. Wenn er in strenger Stimmung war, äuÃerte er sich in kurzen, scharfen, autoritären Sätzen über das Werk, um das es ging, über seine Bedeutung im Kontext anderer Werke desselben Komponisten, über sein Verhältnis zu früheren Werken und denen seiner Zeitgenossen. Er wies auf Besonderheit der Form und Proportion des Werkes hin, auf besonders ausdrucksvolle Stellen und Höhepunkte. Wenn eine Phrase ihm in ihrer Klanggebung oder ihrem Ausdruck nicht gefiel, lieà er sie den Schüler drei- oder viermal wiederholen, bis das gewünschte Ergebnis erreicht war. [â¦]
Einige hatten das Recht, detaillierte Anweisungen zu erbitten; wer es richtig anstellte, bekam von Liszt jederzeit Tipps für den komplexen und subtilen Gebrauch des Pedals, oder sogar Vorschläge für geschickte Fingersätze. Das allerdings war eher bei den kleinen Klassen in Rom der Fall, als in den groÃen Gruppen in Weimar â¦
Liszt hatte das Modell des Klassen-Unterrichts vor allem deshalb erfunden, weil der Lehrer so nicht gezwungen war, dasselbe Stück wieder und wieder verschiedenen Schülern vorzuspielen und ständig dieselben Vorschläge für Fingersätze, Pedal-Gebrauch, Phrasierung und so weiter zu wiederholen; wenn der Schüler das Werk, um das es geht, kennt, profitiert er davon ebenso sehr wie der Spieler selbst, und wenn er es nicht kennt, wird er besser darauf vorbereitet, wenn er es später einmal studiert. Liszt war auÃerdem davon überzeugt, dass selbst der beste Lehrer seine guten und schlechten Tage hat, und dass der Klassen-Unterricht allen die Möglichkeit gibt, von den guten Tagen zu profitieren. Das Beste daran war natürlich, dass die Schüler so die Möglichkeit hatten, vor kritischen Zuhörern zu spielen, um so ihre Nervosität loszuwerden und an Selbstsicherheit zu gewinnen.«
Was Liszt allerdings strikt ablehnte, war technischer Basisunterricht. »Wir waschen hier keine schmutzige Wäsche â machen Sie das zu Hause!«, war eine seiner stehenden Redewendungen, wenn jemand pianistisch mit einem Stück nicht zurechtkam. Worum es ihm ging, waren Atem, Phrasierung, Farbe und musikalische Gestaltung; und so wie er als Dirigent nichts vom Taktschlagen hielt, animierte er auch seine Schülerinnen und Schüler zu einer agogisch freien, quasi rhetorischen Interpretation. Er empfahl eine aufrechte Haltung am Klavier, ohne Hin- und Herdrehen des Oberkörpers; »du âºmetronomisierstâ¹ genauso wie die groÃe Clara [Schumann]«, sagte er einmal zu Ernesztina Kramer. Nach den Lithografien, Zeichnungen und Fotos zu urteilen, die Liszt am Klavier zeigen, scheint er relativ nah an den Tasten gesessen zu haben, mit leicht angehobenen Ellenbogen. Am schönsten war es für die Schülerschar natürlich, wenn der Meister selbst sich an den Flügel setzte und spielte â oft genug Musik, die er nie zuvor gesehen hatte.
»Liszts Prima-vista -Spiel ist spektakulär. Er spielt alles vom Blatt so, wie andere, nachdem sie ein halbes Jahr die Noten studiert haben. Mehr noch: Er kann Werke vom Blatt spielen, die viele erstklassige Virtuosen überhaupt nie spielen
Weitere Kostenlose Bücher