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Denkanstöße 2013

Denkanstöße 2013

Titel: Denkanstöße 2013 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nelte
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Von Maulbronn über Sternenfels nach Kürnbach. Der Club der toten Dichter. »Die Odyssee ist kein Kochbuch.« Die Nacht im Strohhaufen. Der verborgene Gott. Licht auf der Dornenkrone. Mit dem Landjäger zurück ins Kloster. »Kennst Du das Land, wo keine Blumen blühen.« Karzerstrafe. »Bitte liebt mich noch wie vorher.« Morddrohung. Hermann muss das Seminar verlassen. Absturz in den Wahnsinn? Zum Teufelsaustreiber nach Bad Boll
    Nichts wird so sein wie vorher. Das Herz rast, heiße Wellen treiben ihn voran. Der junge Mann spürt, dass diese Entscheidung sein Leben verändern wird. Eben ist er durch die Mauerpforte an der Nordwestecke des Klosters geschlüpft, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Hinter den in blau-weißem Dunst schwimmenden Hügeln am Horizont ruft keine Glocke zum Aufstehen, zur Lektion, zum Mittagstisch. Auf dem Höhenweg über dem Kloster schwenkt er seine grüne Mütze, um sich einer Gruppe von Mitschülern bemerkbar zu machen, die am Brunnen vor dem Seminargebäude zur Mittagspause zusammensteht. Einer ruft etwas, winkt, aber sein Ruf verhallt zwischen den Mauern von Jagdschloss und Abtshaus. Niemand würde ihm folgen, das weiß er. Keiner hat wie er den Mut, frech die Seminarordnung zu durchbrechen, den Schritt ins Freie zu wagen. Man lästert gegen die Repetenten, reimt Spottverse, aber wenn einer der Lehrer das Zimmer betritt, verstummen die meisten, machen ihren Bückling und erweisen sich als dankbar-gefällige Stipendiaten.
    Hermann Hesse aus dem Pietistenstädtchen Calw ist anders. Einen der Lehrer liebt er, die anderen sind ihm gleichgültig, nur einer ist ihm verhasst. Das Maulbronner Klosterseminar erscheint ihm als ein durchaus angenehmer Ort, keine »Knabenpresse«, in die ehrgeizige Eltern ihre Söhne zwingen, um sich Ausbildungskosten zu sparen – oder weil sie auf eine glanzvolle Karriere ihres Sprösslings hoffen. »Alles zusammen bildet ein festes, schönes Band zwischen Allen und nirgends findet man einen Zwang«, hat er noch vor drei Wochen, am 14. Februar 1892, an seine Mutter geschrieben. Der Fünfzehnjährige ist nicht nur hier, weil der Besuch der württembergischen Eliteschule Familientradition ist. Sein Großvater, ein Onkel und sein Bruder Karl haben das evangelische Seminar höchst erfolgreich absolviert, und auch er selbst hat das berühmt-berüchtigte »Landexamen«, die Eingangsprüfung für die Klosterschulen Maulbronn, Blaubeuren, Schöntal und Urach, ohne Mühe bestanden. Doch nicht die Aussicht auf eine Pfarrstelle hat ihn beflügelt, sich in einer Göppinger Lateinschule auf das Landexamen vorbereiten zu lassen. Er wusste von Anfang an, wie hart die Paukerei für diese Prüfung sein würde, denn von mehreren Hundert hochbegabten Bewerbern werden nur fünfundvierzig ins Seminar aufgenommen. Hermann hat ganz andere Pläne, die er keineswegs verschweigt, die aber von seinen Eltern als Grille eines Pubertierenden aufgefasst werden: Hermann Hesse will Dichter werden – oder gar nichts. Diesen Traum glaubt er gerade hier in Maulbronn, wo auch sein Vorbild Hölderlin zur Schule ging, verwirklichen zu können.
    Als Hermann den Tiefen See oberhalb des Klosters erreicht, kommt ihm das Gedicht in den Sinn, das er gestern noch seinen Stubenkameraden vorgetragen hat und das ihm als »ossianische Schwärmerei« eines Lebensmüden ausgelegt worden ist:
    Ich steh allein auf dem Berge,
    Allein mit all meinem Weh,
    Und schaue hinab in die Weiten,
    Hinein in den ruhigen See.
    Der See ist so blau wie der Himmel
    Da wird mir so eigen zumut,
    Als sollt’ ich hinein in die Fluten,
    Als wäre dann alles gut.
    Hermann schüttelt den Kopf, die Kerle wissen eben nicht, dass der Dichter seine Gedichte nicht wörtlich verstanden wissen möchte, nicht als Aufschrei oder Bekenntnis, sondern dass er einen menschlichen Seelenton treffen will, dessen Schmerzlichkeit im Versmaß zur Ruhe kommt.
    Hermann lässt das in der Mittagssonne silbern aufblinkende Wasser hinter sich zurück und wandert hinauf zur Hügelkette im Norden Maulbronns, die vom Scheuelberg beherrscht wird. Dort ist er öfter schon mit Freunden gewesen, an milden Herbsttagen, um den freien Blick über den Kraichgau zu genießen, die Weinberge und bewaldeten Kämme von Stromberg und Heuchelberg, wo das Königreich Württemberg und das Herzogtum Baden

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