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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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Einübung in die Aufgaben des Tages. Sie spricht von der »unendlichen Süßigkeit dieses griechischen
     Textes«. Weil findet ihre Nahrung hier, wozu also braucht sie überhaupt noch irdische Kost? Sie neigt zum Extremen, das Leben
     einer Normalbürgerin wird sie niemals führen können, und beeindruckt durch die Vehemenz, mit der sie für Gerechtigkeit und
     die Freiheit des Einzelnen eintritt.
     
    Im Oktober 1941 kehrt Simone Weil nach Marseille zurück, wo sie sechs Monate lebt. Die meiste Zeit widmet sie der geistigen
     Arbeit und schreibt vor allem an dem Traktat
Das Unglück und die Gottesliebe.
Das Unglück steht für Weil in direktem Zusammenhang mit dem Sozialen: »Wahrhaftes Unglück liegt nur dann vor, wenn das Ereignis,
     das ein Leben ergriffen und entwurzelt hat, es unmittelbar oder mittelbar in allen seinen Teilen, in seinem sozialen, psychologischen
     und physischen Teil, getroffen hat. Der soziale Faktor ist wesentlich. Nur dort gibt es wahrhaftes Unglück, wo auch in irgendeiner
     Form ein sozialer Abstieg oder die Furcht vor einem solchen Abstieg vorliegt.« 22
    Aber gerade in diesem Unglück liegt die Möglichkeit,Gott zu begegnen. So hat das Unglück eine positive Kraft in sich, eine Richtung hin zu Gott.
    Man kann natürlich einwenden, dass Weil ein vorrangig intellektuell ausgerichteter Mensch ist, dass sie zwar in der Fabrik
     die Grausamkeit entfremdeter Arbeit am eigenen Leib erfahren hat, aber trotzdem eben jederzeit wieder aufhören konnte, dort
     zu arbeiten. Was aber ist mit den Menschen, die gezwungen sind, diese Arbeit zu tun, weil sie Geld zum Überleben brauchen,
     weil sie vielleicht Verantwortung für eine ganze Familie tragen? Was Weil mit großer Willensanstrengung durchgehalten hat,
     tun andere täglich aus äußerer Notwendigkeit. Das Zentrum des Unglücks als »Entwurzelung« wirklich zu erleben, um wartend
     in einer solchen Leere schließlich Gottes Ankunft aus unendlicher Ferne zu erfahren, dies kann kein Lebensentwurf für die
     Massen sein. Hier entfernt sich Weil von der Realität der Menschen, um die es ihr eigentlich geht.
    Ein anderes Grundwort ihrer Philosophie ist die
Aufmerksamkeit.
In einem Brief an den seit dem Ersten Weltkrieg querschnittsgelähmten Dichter Joe Bousquet, den sie in Marseille kennen gelernt
     hat und der nun in Carcassonne lebt, schreibt sie im April 1942: »Die Aufmerksamkeit ist die seltenste und reinste Form des
     Großmuts. Es ist sehr wenigen Geistern gegeben, zu entdecken, dass die Dinge und die Lebewesen existieren. Seit meiner Kindheit
     wünsche ich nichts anderes, als vor meinem Tod diese völlige Offenbarung bekommen zu haben.« 23
    Simone Weil strebt nach der direkten totalen Offenbarung der Wirklichkeit aller Dinge. Weils Neigung zur Mystik ist offensichtlich.
    Für die einfachen menschlichen Freuden und Bedürfnisse hat Simone Weil immer weniger Verständnis und sokann der folgende Satz nur befremdlich wirken: »Die Wurzel des Bösen ist die Träumerei.« 24 Warum den Menschen ihre Träume nehmen? In Weils Augen ist es Zeitvergeudung, zu träumen, und die Menschen sollten ihre Kraft
     und Phantasie im Sinne eines Lebens auf das Gute hin nutzen. Alles Egoistische ist zu überwinden, damit es wieder zu einer
     »Einwurzelung« in Gott kommen kann. Natürlicherweise sind wir dem Materiellen verhaftet, müssen uns aber von dieser Abhängigkeit
     frei machen, um Gott als das absolut Gute zu finden.
    Diesen Gedanken findet Weil bereits bei Platon und seiner Idee des Guten. Sie sieht sich immer wieder in der Philosophiegeschichte
     um und hat bevorzugte Denker, die sie in ihrem Sinn interpretiert. Außerdem liest sie buddhistische, hinduistische und aus
     dem Taoismus stammende Texte, beschäftigt sich aber auch hier nur mit den Aspekten, die sie ernsthaft interessieren. Was für
     ihr eigenes Denken nicht wirklich von Belang ist, lässt sie außer Acht. Sie strebt aber nicht eine Vermischung verschiedener
     Religionen an, sondern sucht nach dem spirituellen Kern, der in ihnen allen steckt.
     
    Im Sommer 1942 beschließen Simone Weil und ihre Eltern, Marseille zu verlassen, um in die USA auszuwandern. Weil begleitet
     ihre Eltern, die sich als Juden in Frankreich unsicher fühlen, nur ungern. Überzeugend wirkt einzig der Gedanke, so doch noch
     nach England zu gelangen und sich dort der französischen Widerstandsbewegung anzuschließen, die die Aufgabe hat, Informationen
     ins besetzte Frankreich zu schleusen oder Sabotageakte

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