Denken hilft zwar, nutzt aber nichts
Ärzte verschreiben uns deshalb bei einer Viruserkältung keine Antibiotika mehr? Selbst wenn sie wissen, dass die Erkältung viraler und nicht bakterieller Natur ist – und viele Erkältungen sind virusbedingt –, gehen sie davon aus, dass der Patient irgendeine Art von Linderung erwartet: Die meisten Patienten wollen mit einem Rezept in der Hand nach Hause gehen. Ist es richtig, wenn der Arzt dieses psychische Bedürfnis erfüllt?
Der Umstand, dass Ärzte fortwährend Placebos verschreiben, bedeutet nicht, dass sie es unbedingt wollen, und ich vermute, dass ihnen dabei oft nicht ganz wohl ist. Sie verstehen sich von ihrer Ausbildung her als Männer und Frauen der Wissenschaft, als Profis, die sich am neuesten Stand der modernen Medizin orientieren müssen. Sie möchten sich als echte Heiler sehen, nicht als Schamanen. Es dürfte also äußerst schwierigfür sie sein, zuzugeben – auch sich selbst gegenüber –, dass sie sich bei ihrer Aufgabe, die Gesundheit der Menschen zu fördern, vom Placeboeffekt helfen lassen. Angenommen, ein Arzt gibt, wenn auch widerwillig, zu, dass eine ihm als Placebo bekannte Therapie einigen Patienten hilft. Sollte er sie im Brustton der Überzeugung verordnen? Schließlich kann es die Wirksamkeit konkret beeinflussen, wenn der Arzt voll und ganz hinter der Therapie steht.
Doch es stellt sich noch eine weitere Frage, die mit unseren gesellschaftlichen Anstrengungen zu tun hat, für ein möglichst gutes Gesundheitssystem zu sorgen. Amerika wendet pro Person bereits mehr von seinem Bruttoinlandsprodukt für Gesundheitsfürsorge auf als jedes andere westliche Land. Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass teure Medikamente (das Aspirin für 50 Cent) den Menschen möglicherweise besser helfen als billigere Medikamente (das Aspirin für 1 Cent)? Geben wir der Irrationalität der Menschen nach, auch wenn sich damit die Kosten des Gesundheitssystems erhöhen? Oder beharren wir darauf, dass die Menschen die billigsten auf dem Markt erhältlichen Generika (und die billigsten medizinischen Anwendungen) bekommen, ungeachtet der größeren Wirksamkeit teurerer Medikamente? Wie strukturieren wir die Kosten und Zuzahlungen für Behandlungen, um einen möglichst großen Nutzen aus den Medikamenten zu ziehen, und wie können wir bedürftige Bevölkerungsgruppen mit preiswerten Medikamenten versorgen, ohne dass sie deshalb eine weniger wirksame Behandlung bekommen? Diese komplexen Fragen sind für die Gestaltung unseres Gesundheitssystems von zentraler Bedeutung.
Placebos bringen auch die Anbieter in ein Dilemma. Ihre Position innerhalb des Marktes verlangt von ihnen, einen wahrnehmbaren Wert zu schaffen. Ein Produkt mit Aussagenzu bewerben, die über das objektiv Beweisbare hinausgehen, ist – je nachdem, wie überzogen die Behauptungen sind – eine großzügige Auslegung der Wahrheit oder glatte Lüge. Doch wir haben gesehen, dass sich die Wahrnehmung des Wertes bei Medikamenten, Softdrinks, Kosmetika aus der Apotheke oder Autos in konkreten Wert verwandeln kann. Wenn die Käufer mit einem solchen Produkt tatsächlich zufriedener sind, hat der Vermarkter dann etwas Schlimmeres gemacht, als mit dem Steak gleich auch den Grillduft zu verkaufen? Je mehr wir über Placebos und die unscharfe Grenze zwischen Erwartung und Realität nachdenken, desto schwieriger sind diese Fragen zu beantworten.
Als Wissenschaftler schätze ich Experimente, die unsere Überzeugungen und die Wirksamkeit verschiedener Behandlungsmethoden auf den Prüfstand stellen. Gleichzeitig ist mir auch bewusst, dass Experimente – insbesondere solche mit Placebomedikamenten – in ethischer Hinsicht viele wichtige Fragen aufwerfen. Die Ligatur der Brustwandarterie, über die ich am Anfang des Kapitels sprach, brachte tatsächlich ein ethisches Problem mit sich, und so erhob sich allgemeiner Protest gegen die Durchführung simulierter Operationen an Patienten.
Der Gedanke, das Wohlbefinden und vielleicht sogar das Leben einiger Menschen zu opfern, um daraus zu lernen, ob eine bestimmte Behandlungsmethode irgendwann in der Zukunft bei anderen Menschen angewandt werden sollte, ist in der Tat schwer zu schlucken. Die Vorstellung, dass ein krebskrankes Kind eine Placebotherapie bekommt, damit Jahre später andere Menschen vielleicht eine bessere Behandlung erfahren können, führt uns in einen sonderbaren und schwierigen Konflikt.
Andererseits sind aber auch die Kompromisse, die wireingehen, indem wir
keine
Placeboexperimente
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