Denken hilft zwar, nutzt aber nichts
Preis weniger gut wirkt – und folglich schneiden sie bei den Worträtseln auch nicht so schlecht ab, wie es der Fall wäre, wenn sie von jener Annahme ausgehen würden. Diese Ergebnisse zeigen uns nicht nur einen Weg, wie wir die Abhängigkeit des Placeboeffekts vom Preis umgehen können, sondern sie belegen auch, dass die Wirkung von Rabatten größtenteils auf einer unbewussten Reaktion auf niedrigere Preise beruht.
Wir haben jetzt gesehen, wie Preise die Wirksamkeit von Placebos beeinflussen, seien es Schmerzmittel oder Energiedrinks. Dazu noch ein anderer Gedanke. Wenn Placebos bewirken können, dass wir uns besser fühlen, können wir uns dann ganz beruhigt ihrer bedienen? Oder sind Placebos etwas Schlechtes – Mogelpackungen, die wir in den Müll werfen sollten, ob sie uns nun helfen oder nicht? Bevor Sie diese Frage beantworten, möchte ich Ihnen die Sache noch etwas schwerer machen. Angenommen, Sie entdecken ein Placebomittel oder ein Placeboverfahren, das nicht nur bewirkt, dass Sie sich besser fühlen, sondern dass es Ihnen tatsächlich physisch bessergeht. Würden Sie das Placebo dennoch anwenden? Was, wenn Sie Arzt wären? Würden Sie Medikamente verschreiben, die reine Placebos sind? Ich möchte Ihnen dazu eine Geschichte erzählen, die meinen Gedanken verdeutlicht.
Im Jahr 800 n. Chr. krönte Papst Leo III. Karl den Großen zum römischen Kaiser und schuf damit eine direkte Verknüpfung zwischen Kirche und Staat. Von dieser Zeit an waren die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und in ihrer Nachfolge die europäischen Könige als Herrscher »von GottesGnaden« von einem Glanz des Göttlichen umgeben. Daher rührte die sogenannte »königliche Berührung« – die Praxis, Menschen durch Handauflegen zu heilen. Wie uns zahlreiche Geschichtsschreiber berichten, begaben sich das ganze Mittelalter hindurch die großen Könige regelmäßig unters Volk und spendeten die königliche Berührung. Charles II. von England (1630 bis 1685) zum Beispiel soll während seiner Regentschaft rund 100 000 Menschen die Hand aufgelegt haben, und in den Annalen sind sogar die Namen etlicher amerikanischer Kolonisten verzeichnet, die nur aus der Neuen in die Alte Welt zurückkehrten, in der Hoffnung, König Charles zu begegnen und geheilt zu werden.
Half die königliche Berührung wirklich? Hätte nach Empfang dieser Berührung niemand eine Besserung erfahren, wäre diese Praxis sicherlich bald in Vergessenheit geraten. Doch im Laufe der Jahrhunderte sollen Tausende von Menschen durch die königliche Berührung geheilt worden sein. Die Skrofulose, eine entstellende, oft mit Lepra verwechselte Krankheit, die die Betroffenen in die soziale Isolation trieb, soll durch königliche Berührung geheilt worden sein. Shakespeare schrieb in
Macbeth,
IV. Akt, 3. Szene: »Seltsam Heimgesuchte / Voll Schwulst und Aussatz, kläglich anzuschauen … / Mit heiligem Gebet – und nach Verheißung / Wird er vererben auf die künft’gen Herrscher / Diese Wundergabe. Zu der heil’gen Kraft …« Die königliche Berührung wurde noch bis in die 1820er Jahre praktiziert, bis Monarchen nicht mehr als von Gott eingesetzt betrachtet wurden – und (wie wir annehmen dürfen) »neue, bessere« Präparate aus ägyptischer Mumie die königliche Berührung überflüssig machten.
Die meisten Menschen tun Placebos wie die königliche Berührung als »bloße Psychologie« ab. Doch das Wörtchen »bloß« ist bei der Kraft von Placebos unangebracht; in Wirklichkeitspiegeln sie wider, welch erstaunliche Macht unser Geist über unseren Körper hat. Wie der Geist das bewerkstelligt, wissen wir noch nicht genau. Zum Teil beruht diese Wirkung sicherlich auf Stressabbau, auf Beeinflussung der Hormonausschüttung und des Immunsystems und anderen Faktoren. Je mehr wir die Zusammenhänge zwischen Gehirn und Körper verstehen, desto komplexer werden zuvor scheinbar klar umrissene Sachverhalte. Nirgendwo ist das so offensichtlich wie beim Placebo.
In Wirklichkeit verschreiben die Ärzte ständig Placebos. Eine 2003 durchgeführte Studie ergab beispielsweise, dass über ein Drittel der Patienten, die wegen einer Halsentzündung Antibiotika bekommen hatten, in Wirklichkeit eine Virusinfektion hatten, wie sich später herausstellte, bei der ein Antibiotikum überhaupt nicht hilft. (Möglicherweise trägt dies sogar zu der steigenden Zahl medikamentenresistenter bakterieller Infektionen bei, die für uns alle eine Gefahr darstellen. 14 ) Aber glauben Sie, die
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