Denken Mit Dem Bauch
dann, wenn uns eine Situation nicht interessiert. Genau so ist es.
Und weil Zahlen, Daten und Fakten so herzlich wenig
Emotionalität in sich bergen, vergessen wir in der Regel die auch am ehesten. Wenn jemand dennoch in der Lage ist, sich Hunderte von Daten und Zahlen zu merken, dann baut er in seinem Kopf künstliche, emotionale Bilder auf. Wie etwa der
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Lehrer, der in der »Wetten, dass?«-Show in der Lage war, sich eine Zahl mit 6000 Ziffern zu merken. Für ihn waren das 6000
Bilder, für jede Ziffer eines, sagte er in einem Interview.
Aber es geht noch weiter mit den Merkwürdigkeiten im
Ankerplatzsystem des Gehirns. Denn nicht nur die ganz flachen, oberflächlichen Gedanken werden wegen Belanglosigkeit aus dem Gehirnarchiv verbannt oder gar nicht erst eingelassen.
Auch überaus starke, extrem emotionale Erinnerungen können aus dem Gehirnarchiv geworfen werden. Ist die emotionale Dimension des Erlebten, des Gesehenen, so extrem tief, so extrem multidimensional, dass unser Organismus davor die Augen verschließen müsste (vor Gräuel oder vor Angst
beispielsweise) - dann fliegt auch der Gedanke aus dem Archiv.
Oder es wird zwar ein Ankerplatz angelegt, aber kein
Aktenzeichen vergeben. Das bedeutet, der Gedanke an das emotional Furchtbare ist da - aber der abgelegte Gedanke kann nicht mehr gelesen werden. Die Akte zwar liegt im Keller des Gehirns - aber sie ist unauffindbar. Das nennt man dann
»Verdrängung«.
Ich hatte in diesem Buch die Basis für unsere
Lebenserfahrungen bzw. die daraus resultierenden, im Gehirn gespeicherten Programmierungen mit einer Computerfestplatte verglichen. Da die Festplatte einen Schreibschutz hat, können vorhandene Ankerplätze nicht überschrieben werden. Sie bleiben ein Leben lang erhalten. Das bedeutet aber nicht, dass wir Menschen auch in der Lage wären, jederzeit auf einen Gedanken-Ankerplatz zuzugreifen (ach wär das schön, dann würden wir uns immer an alles erinnern können!). Das Gehirn ist nämlich in der Lage, komplette Datensätze (Erinnerungen) so auf der Festplatte zu verbergen, dass wir sie nicht mehr erinnern können, selbst wenn wir es wollten.
Um einen solchen Datensatz (einen Ankerplatz) zu verbergen, braucht es nicht immer diese hochdramatischen und
hochtraumatischen Ereignisse wie Vergewaltigung, Miss-
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handlung, Bedrohung an Leib und Leben usw. Das Gehirn ist schon in der Lage, auch bei sehr viel kleineren Anlässen den Ankerplatz zu legen - uns aber nie wieder an ihn heranzulassen.
Und dann wären wir nicht in der Lage, das Erlebte jemals zu erinnern.
Es gibt sogar Fälle, in denen das Gehirn aus wirklich
wichtigem Anlass die gesamte Festplatte so codiert, dass überhaupt kein Zugriff mehr möglich ist. Das wäre dann der totale Gedächtnisverlust, die Amnesie. Wobei dieser Begriff schlichtweg falsch ist. Denn es ist kein Gedächtnisverlust, es ist nur die völlige Codierung, also ein Quasi-Verlust. Wichtiger Anlass für solch ein Verbergen der Daten wäre etwa ein emotionales Horrorerlebnis erster Ordnung: Folter oder Krieg zum Beispiel. Man weiß von Folteropfern, die nach ihren Erlebnissen partielle oder totale Amnesien hatten. In den USA sind viele Fälle bekannt, in denen Vietnam-Veteranen unter partieller oder kompletter Amnesie litten und alles neu lernen mussten. Sie wussten nicht einmal mehr, wie sie hießen oder wo sie wohnten.
Die Bauchprogramme allerdings waren auch bei den
Amnesiepatienten nach wie vor intakt und blieben zugriffsfähig.
Das heißt: Der Nervöse blieb nervös, der Emotionale blieb emotional, der Holzklotz blieb ein Entscheidungsholzklotz.
Was hat all dies nun mit der »Behaglichkeit der falschen Entscheidungen« zu tun? Eine Lebenssituation richtig (nämlich
»treffend«) wahrzunehmen fordert von dem, der wahrnimmt, sehr viel. Treffend bedeutet hier, dass wir die Impulse, die auf uns einwirken, in einen zutreffenden Kontext einzupacken und zu klassifizieren in der Lage sind. Das kann natürlich immer nur dann gelingen, wenn wir irgendwie an die Ankerplätze
herankommen. Erst wenn wir über eine abgespeicherte
Erfahrung verfügen, gelingt es, die neuen Erlebnisse oder neuen Situationen treffend zu interpretieren. Dabei werden die
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abgespeicherten Erfahrungen in Bruchteilen von Sekunden mit den neuen Impulsen und der neuen Situation verglichen - und wir bauen uns aus dem Vergleich und dem Ergebnis dieses Vergleichs unsere ganz eigene Interpretation des aktuellen Geschehens
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