Denken Mit Dem Bauch
Bibliothek oder ein Gerichtsarchiv: Es archiviert subjektiv. Es sortiert nämlich die erdachten, vergangenen Gedanken nach deren emotionaler Wichtigkeit. Anders ausgedrückt: Die Dimension der Emotionalität spielt eine Rolle. Und das emotionale Design einer Erinnerung spielt eine Rolle. Je tiefer, je umfassender die emotionale Dimension eines Gedankens ist - umso eher
bekommt der Gedanke sein »Aktenzeichen«. Ist die emotionale Dimension flach und dürftig, vergibt das Gehirn gar kein Aktenzeichen. Die Gedankenakte wird dann zwar auch im
»Gehirnkeller« abgelegt - aber niemand wird sie je wieder finden ohne Ordnungsnummer. Unter »emotionalem Design«
verstehe ich das erste, spontane Aussehen des Gedankens. Ist er schön oder hässlich, hell oder dunkel, bedrohlich oder erheiternd, liebevoll und bewahrend, ablehnend oder gar widerlich?
Ein Beispiel in zwei Teilen soll zeigen, wie das Ankerplatz-Ablagesystem in unserem Kopf konkret arbeitet:
Beispiel A:
Ein Sonnenuntergang am Meer. Sie, 27 Jahre alt, ledig, geht allein spazieren. Sie wohnt am Meer und geht dort jeden Tag spazieren. Sie sieht den Sonnenuntergang. Ihr Gehirn legt den
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Gedanken an diesen Sonne nuntergang nach etwa zwei Sekunden an einem Ankerplatz ab. Der Gedanke an das Meer und an den Sonnenuntergang hat ein schönes Design. Er ist
rotgelbsonnigblau… oder rotwarmwohlig und wird am
Ankerplatz »Meer-Sonnenuntergang-21.00 Uhr« abgelegt. Das ist quasi das Aktenzeichen.
Die Dimension dieses abgelegten Gedankens ist flach,
eindimensional, wenig tief. Es ist ein Sonnenuntergang von hunderten, die die junge Dame schon gesehen hat. Und die abgespeicherten Sonnenuntergänge waren alle so sehr ähnlich, dass das Gehirn schon ein paar Schwierigkeiten hat, den einen Sonnenuntergang von dem anderen zu unterscheiden. Sie haben letztlich alle das gleiche Aktenzeichen »Meer-Sonnenuntergang-21.00 Uhr«. Wenn man sie fragen würde, welches für sie der schönste Sonnenuntergang gewesen ist… sie müsste lange nachdenken bei den über dreihundert Sonnenuntergängen pro Jahr, die sie bereits erlebt hat. Es ist zwar alles abgelegt, aber einfach nicht mehr zu finden.
Beispiel B:
Ein Sonnenuntergang am Meer. Sie, 27 Jahre alt, ledig, geht mit ihrem neuen Freund Peter am Meer spazieren. Sie wohnt nicht dort und geht also auch nicht jeden Tag dort spazieren. Sie sieht den Sonnenuntergang. Ihr Gehirn legt den Gedanken an diesen Sonnenuntergang nach etwa zwei Sekunden an einem Ankerplatz ab. Der Gedanke an das Meer und an den
Sonnenuntergang hat ein wunderschönes Design. Er ist
rotverliebtsonniggelbblau… oder rotverliebtwarmwohligmollig.
Er ist so wertvoll und tief (tiefe emotionale Dimension), dass er das Aktenzeichen »Sonnenuntergang mit Peter, einmalig, noch nie dagewesen, rotsonnigverliebtwohlig« erhält. Der Gedanke ist nun von der jungen Dame, die nicht am Meer wohnt und dort nicht täglich herumspaziert, sofort abrufbar. Sie wird sich auch in zwanzig Jahren noch an diesen einen Dienstag und an diesen
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einen Sonnenuntergang erinnern.
Die Dimension dieses abgelegten Gedankens ist extrem tief, sie ist mehrdimensional. Der Gedanke ist in wunderschönstem Design gemacht. Es ist ein einzigartiger Sonnenuntergang, der schönste, den sie je hatte. Zwar sind Sonnenuntergänge grundsätzlich für das Gehirn sehr ähnlich - aber bei diesem zweiten Beispiel macht es die emotionale Dimension aus, die dabei wirksam wird. Liebe, Nähe, Zugehörigkeit, Lust,
Geborgenheit, Schönheit, Gemeinsamkeit usw….
Das Gehirn sortiert also unsere nichtgegenständlichen
Wahrnehmungen nach einem merkwürdigen System der
emotionalen Dimensionen. Je tiefer die Emotion, umso fetter das Aktenzeichen, umso stabiler der Ankerplatz, umso dicker das Festmachertau - und umso leichter der Zugriff auf diesen einen Gedanken, diesen einen Ankerplatz. Innerhalb der emotionalen Tiefenskala werden die Erinnerungen dann noch nach dem emotionalen Design sortiert: die angenehmen, die hübschen an dem einen Ort - die unangenehmen, die hässlichen an einem anderen.
Wenn es so ist, dass wir uns immer dann gut erinnern und vor allem präzise erinnern, sobald an dem Gedankenankerplatz ein enormes emotionales Potenzial vertäut ist, dann könnte man im Umkehrschluss auch sagen: Gedächtnislücken entstehen immer dort, wo wir emotional nicht tief eingebunden sind oder wo die emotionale Dimension beim Festmachen am Ankerplatz fehlt.
Oder: Gedächtnislücken entstehen auch
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