Denken Mit Dem Bauch
verschleiert und vertuscht das Gehirn Erinnerungen - oder es löscht sie ganz. Dabei geht es in der Regel so vor, dass die eher angenehmen Erinnerungen weniger verdrängt werden als die unangenehmen oder bösen. Diese Art von selektiver
Wahrnehmung begleitet uns jeden Tag aufs Neue. Wir erleben eine Situation, eine Lage, fragen in unserem Erinnerungssystem nach - und bereiten eine Entscheidung vor. Da wir vom Gehirn meist nur Halbwahrheiten bekommen oder irgendwie gefilterte Informationen, unterliegen wir bei den Kopfentscheidungen (wie bei den Bauchentscheidungen) einer Menge von möglichen Fehlerquellen.
Je weniger unser Gehirn an messbarer Information preisgibt, umso eher greifen wir auf unsere standardisierten Schubladen zurück. Gemeint sind Vorurteile. Ein Vor-Urteil ist ein tatsächlich vorauseilendes Urteil, das auf selektiver
Gehirnwahrnehmung basiert.
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»Vorurteile« über einen Menschen, eine Rasse, eine Sachlage bzw. eine Lebenssituation oder eine anstehende Problemlösung sind beängstigend weit verbreitet. Wir werfen sehr
unbekümmert mit diesen »bequemen« Vorurteilen um uns. Und wir sehen oft gar keine kognitive Veranlassung dazu, ein Vorurteil ernsthaft in Frage zu stellen. Kaum jemand macht sich die Mühe, bei jeder Entscheidung oder Situation kritisch zu hinterfragen, ob der von uns angenommene Kontext logisch und folgerichtig ist, ob wir einem Vorurteil aufgesessen sind oder ob es vielleicht noch andere Erinnerungen in unserem Kopf geben könnte, die das Vorurteil entkräften, oder ob unsere
Interpretation der Sachlage überhaupt stimmt. Ganz in der Minderzahl sind diejenigen, die ein auftauchendes Vorurteil grundsätzlich sofort in Frage stellen und kritisch hinterfragen.
Aber eigentlich müsste der kluge Kopf doch Vorurteile
erstens identifizieren und zweitens sofort hinterfragen. Warum tut er das nicht automatisch? Weshalb überprüft das Gehirn so etwas nicht? Wenn es schon bei den Erinnerungen so schlampig vorgeht, dann sollte es doch eine Sachlage wenigstens kognitiv auf Vorurteile hin überprüfen können. Stimmt. Dazu hat das Gehirn sogar ein Prüfsystem. Aber dieses System ist 430000
Jahre alt und besitzt kein Update für dieses neue Jahrtausend.
Das ist ungefähr so, als würden wir den geplanten Marsflug der NASA mit einem Taschenrechner nachrechnen. Einige Gehirne haben nicht einmal einen Taschenrechner. Das kognitive Prüfsystem hat vielleicht vor 430000 Jahren einmal etwas genützt, aber in einer sehr einfachen, überschaubaren Welt mit einfachsten, leicht überschaubaren Systemen.
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Das Prüfsystem im Kopf war lange n icht beim TÜV
Heute, in einer so komplex verzahnten Industriewelt, verfügen wir natürlich weiterhin über das genannte Prüfsystem im Kopf -
es nützt nur nicht mehr viel. Es wäre sehr schön, wenn die im Folgenden aufgezeigten Prüfinstanzen tatsächlich sicher funktionieren würden. Sie funktionieren aber leider nur sehr unzuverlässig und produzieren viele Fehler. Das System kann zum Beispiel bei anstehenden Entscheidungen…
… unsere allgemeine Entscheidungskompetenz
überprüfen…
Das heißt, das Gehirn schaut nach, was man messbar über den Zusammenhang und die Situation weiß, die es zu entscheiden gilt, und welche Fähigkeiten man konkret und wahrhaftig hat, die der sicheren Entscheidung förderlich sind.
Fehlerquelle:
Die Selbstüberschätzung. Sie gehört in unserer Gesellschaft zum Set der sozial erwünschten Verhaltensweisen. Wer keine Selbstüberschätzung an den Tag legt, dem fehlt irgendwo irgendetwas an seiner sozialen Vollwertigkeit. Nehmen wir das einfache Beispiel eines Managers: Der Manager, so nehmen wir an, ist Geschäftsführer eines kleineren Betriebes mit ungefähr 50
Mitarbeitern. In solch einem Betrieb ist er schnell das Mädchen für alles. Er ist sein eigener Marketingfachmann, sein eigener Steuerberater, sein bester Finanzfachmann, sein eigener Personalchef, seine eigene Werbeabteilung und Vertriebsleiter außerdem. Sein Image lautet demzufolge: »Der arbeitet wie ein Vieh. Der ist Klasse. Der ist sozial wertvoll und vollwertig.«
Biegt sich sein Schreibtisch vor lauter Arbeit, dann umso besser.
Das zeigt, wie wichtig er ist.
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Stellen Sie sich einmal vor, der Manager würde mittels seines kognitiven Systems seine tatsächliche Entscheidungskompetenz abprüfen. Und er käme dahinter, dass:… er völlig überfordert ist, keine Lust mehr hat, 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, volle
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