Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
auch so. — Wer kennt die Geheimnisse der Geisterwelt und die Bedin-
gungen einer vielleicht frühem Existenz unserer Seele, in welcher sie sich an andere Seelen anzuschließen Ge-legenheit hatte ? Genug, Streckfuß ward sogleich einer der Unsrigen. Unter dem Schatten unserer hohen Lin-denbäume, durch die die Abendsonne schimmerte, sagte er uns auf unsere Bitten einige seiner Gedichte, namentlich die Harmonien *^^) her, und wirklich waren diese Verse Harmonien — und harmonisch fühlten alle Freundinnen und Freunde, die zugegen waren, sich dem Sänger verbunden. Was der erste Abend verheißen hatte, hielt die Folge. Streckfuß wußte durch seine an-ziehende Persönlichkeit vne durch einen gebildeten Ver-stand und ein würdiges, höchst rechtliches Betragen, aller Achtung und Zuneigung zu erwerben, und er wurde bald meiner Mutter so wert wie meinem kleinen Mädchen, das mit kindlicher Wärme an ihm hing und das er sein Bräutchen nannte.
Es ist natürlich, daß der stete Umgang mit Män-nern vsde Collin, Hormayr, Schneller, Köderl, Streck-fuß, Rothkirch und andern auf mein Gemüt erregend und erhebend wirken mußte. Ich hatte früher be-reits einige Idyllen geschrieben. Haschka, dem ich so vieles verdanke, was meine literarische Ausbildung ver-vollkommnete, und bei dem ich mir über meine Ar-beiten gern Rats holte, hatte mir, mit sehr triftigen Gründen, vorgeschlagen, den Stoff zu einigen Idyllen aus der Bibel, das heißt, aus der Zeit der Patriarchen zu ^nehmen, deren Lebensweise den eigentlichen Forde-rungen der Idylle, wie Haschka meinte, vollkommen entspräche, indem sie ein ländliches und in seiner Aus-bildung einfaches Leben mit Wohlstand und Sorglosig-keit verbunden, darstelle, gleichweit von städtischer Verfeinerung und bäurischer Roheit entfernt, und
durch religiöse Gesinnung und innigen Verkehr mit Gott dem Gemälde einen eigenen anziehenden Cha-rakter gebe. Mir leuchtete diese Behauptung sehr ein, denn fromme Empfindungen und Schilderungen hatten mir von jeher zugesagt. Ich hatte zufällig damals Jahns biblische Archäologie**") bekommen; diese stu-dierte ich, verschaffte mir eine Luthersche Bibel, der kräftigen Diktion wegen, und wählte mir nun einige Stücke, die mir zu solcher Bearbeitung am dienlichsten schienen. Vor allem nahm ich mir vor, das Buch Ruth auf diese Weise zu behandeln; dann sollten Stücke aus Abrahams Leben kommen, und recht mit Lust über-dachte und durchsann ich diese Gegenstände.
Eines Abends, als wir alle wie gewöhnlich beisam-men waren, und Literatur und Poesie auch wie ge-wöhnlich den Gegenstand unserer Gespräche ausmach-ten, äußerte Streckfuß, daß er gesonnen sei, das Buch Ruth als Idylle oder kleines erzählendes Gedicht zu be-handeln. [Das klang mir sehr unangenehm; aber ich schwieg, und vertraute nur meinem Manne, als wir allein waren, meinen Verdruß, weil ich nun glaubte, meinen Vorsatz aufgeben zu müssen, denselben Stoff zu bearbeiten, wie ich mir früher vorgesetzt. Aber Pichler war nicht dieser Meinung, er brachte diese An-sicht eines andern Tages in unserm Kreise vor, und Haschka, Schneller, ja Streckfuß selbst munterten mich .auf, meinen früher gefaßten Plan nicht aufzugeben, und die Ruth doch zu bearbeiten, wenngleich ein an-derer Kämpfer sich in derselben Bahn einfinden sollte. So Avard denn beschlossen, daß wir beide — Karl Streckfuß und Karoline Pichler — um dieselbe Palme laufen und unsern poetischen Wettstreit in herzlicher Freundschaft beginnen sollten**^). Nun gab das recht
köstliche Abende alle Sonntage, wenn wir jedes, was wir in dieser Woche gearbeitet hatten, vorlasen; es ver-steht sich, daß der, der weiter gediehen war, und das war gewöhnlich Streckfuß, nicht weiter las, als der an-dere, meist ich, gekommen war. Seltsam und für den kleinen Kreis, der an uns beiden lebhaften Anteil nahm, anziehend waren dann die Beobachtungen, wie derselbe Stoff unter zweierlei Bearbeitung etwas so ganz Verschiedenes wurde, so daß die Ruth von Streck-fuß in Wendung der Fabel, in Kolorit, Schilderung der Charaktere, Haltung des Tons usw. sich ganz an-ders gestaltete als die meinige. Fast möchte ich nach der jetzigen Klassifikation der poetischen Produkte sagen, Streckfuß's Ruth war romantisch, die meinige klassisch. Auf ihn hatte die damals beginnende Zeit-richtung als auf einen noch sehr jungen Mann mehr ge-wirkt, so wie denn seine ganze Poesie damals mehr musi-kalisch als rhetorisch war, und ihm die Sonette**2) ganz vorzüglich
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