Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Ansichten darüber
, geäußert*^"). Ich erinnere mich des genauem Details nicht, aber ich wiederhole im allgemeinen, was ich da-mals darüber dachte, und was nachfolgende Erfahrun-gen bestätigt haben. Es liegt etwas Wunderbares, Ge-heimnisvolles in diesem Sinn für Harmonie, und noch mehr in der Fähigkeit, selbst Harmonien und Melodien zu schaffen. Sie findet sich oft bei Menschen, die außer dieser Himmelsgabe wenig geistige Fähigkeiten oder doch wenig Bildung besitzen. Sie selbst haben keine deutliche Vorstellung weder von ihren Anlagen noch U weniger von dem Prozesse, der in ihrem Innern vor- ) geht, wenn sie sich bestreben, die Schöpfungen, die in ihnen gären, durch Töne deutlich zu machen oder irgend ein fremdes poetisches Pito4ukt in diesen Tönen auszusprechen. Mozart und Haydn, die ich wohl kannte, waren Menschen, in deren persönlichem Um-gange sich durchaus keine andere hervorragende Gei-steskraft und beinahe keinerlei Art von Geistesbildung, von wissenschaftlicher oder höherer Richtung zeigte.
Alltägliche Sinnesart, platte Scherze, und bei dem ersten ein leichtsinniges Leben, war alles, wodurch sie-sich im Umgange kundgaben, und welche Tiefen, welche Welten von Phantasie, Harmonie, Melodie und Ge-fühl lagen doch in dieser unscheinbaren Hülle verbor-gen! Durch welche innere Offenbarungen kam ihnen das Verständnis, wie sie es angreifen müßten, um so gewaltige Effekte hervorzubringen,, und Gefühle, Gedanken, Leidenschaften in Tönen auszudrücken, daß jeder Zuhörer dasselbe mit ihnen zu fühlen ge-zwungen^ und auch in ihm das Gemüt aufs tiefste angesprochen wird?
Auch Schubert habe ich gekannt. — Auf ihn paßte, was seine übrigen Fähigkeiten betrifft, genau dasselbe, was ich von jenen beiden großen Genien sagte. Auch er brachte das Schöne, das Ergreifende seiner Kom-positionen fast unbewußt hervor, ja, ich darf mich hier auf eine Anekdote berufen, die ich aus unsers be-rühmten Sängers Vogl*^i) eigenem Munde habe. — Das, was er vor vor einigen Wochen aus der Tiefe seines Gefühls hervorgeströmt hatte, ein sehr schön komponiertes Lied, kannte er nicht mehr, als es ihm Vogl zeigte, und lobte den Satz, wie etwas aus einer fremden Seele Entsprungenes, ganz aufrichtig*^^). So bewußtlos, so unwillkürlich sind diese Hervorbringun-gen, und man kann nicht umhin, hier an magnetische Zustände und jene geheimnisvollen Fähigkeiten der Psyche zu denken, die in ihr, wie die SchmetterHngs-flügel in der Puppe verschlossen und zusammengewickelt liegen, bis sie sie einst, wenn die Puppe zerbrochen wird, entfalten darf. Hier in ihrem beengten Zustande ahnt sie nur in einzelnen Augenblicken, in Wahrnehmun-gen etwas davon, und diese Augenblicke sind es wohl,
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yon denen Fenelon spricht, und die der Weltmensch verlacht, weil er sie nicht kennt.
Nachdem ich dies vor einigen Tagen geschrieben, geriet ich in Eckermanns Gesprächen mit Goethe auf eine Äußerung*^ dieses großen Mannes, daß nämlich „dem echten Dichter die Kenntnis der Welt angeboren sei", daß er selbst seinen Götz geschrieben, ohne das, was er schilderte, erlebt oder gesehen zu haben, und daß er später über die Wahrheit dieser Darstellung er-staunt sei, er müsse also diese Anschauungen durch Antizipation besessen haben, ja er behauptete, daß, „hätte er nicht die Welt durch Antizipation in sich getragen, alle seine Erforschung und Erfahrung ein totes, vergebHches Bemühen gewesen wäre". Sollte man, indem, ein so mysteriöses Verfahren der Seele an-gedeutet wird, nicht, lieber die Bezeichnungen aus der gewöhnlichen Welt mit denen aus einer höhern ver-tauschen dürfen, und, was Goethe klar und trocken — aber wie mir scheint, nicht erschöpfend Antizipation nennt, lieber mit Inspiration bezeichnen ? Inspiriert sind diese Anschauungen, sie sind dem Dichter, ohne daß er weiß woher oder wozu, zugekommen, und auf ihrer Stärke, Deutlichkeit und ihrem Umfang beruht, wie ich glaube, die größere oder gerin'gere Kraft des Dichters. Im Grunde ist es wohl gleichgültig, ob man nun, dies geheimnisvolle Wirken in der Seele des Dich-ters zu bezeichnen, sich des Wortes Antizipation oder Inspiration bediene; aber selbstzufrieden und vergnügt war ich durch die Entdeckung, daß dieser große Mann ähnliche Wahrnehmungen hatte und mit mir darin übereinstimmt.
Noch muß ich, bei Gelegenheit des Sinnes für Mu-sik und Komposition eine Bemerkung anführen, die ich
vor langer Zeit bereits gemaclit, und auch manchen
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