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Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]

Titel: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 1769-1843 Caroline Pichler , 1881-1925 Emil Karl Blümml
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und jetzt allgemein gewordenen Mode war es nicht. Dann hätte er bleiben, die unüberwindliche Leidenschaft hegen und pflegen, Szenen veranlassen, die Ehe zerreißen- machen, und vielleicht am Ende durch einen Selbst- oder Wechselmord das moderne Trauerspiel beschließen sollen. Davon tat nun freihch Streckfuß nichts; — aber er handelte als rechtlicher Mensch.
    Uns übrigen tat sein Entschluß sehr wehe. Wir hatten uns mit Liebe an ihn gewöhnt; wir hatten ge-hofft, er sollte hier in Wien sich mit seinen bedeutenden Talenten eine ehrenvolle Bahn eröffnen, wie er es später in Dresden und BerHn wirkHch getan, und auf diese Weise bei seinen hiesigen Ffeunden bleiben.
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    Aber keines von uns konnte ihm seinen Entschluß ver-denken, wir mußten ihn darum nur höher achten, und so sahen wir denn mit schmerzlichem Vorgefühl der nahen Abreise des werten Freundes still gefaßt ent-gegen.
    Es war der ii. April 1806, ein Freitag. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, da saßen wir alle, die Freundinnen, welche uns täghch besuchten, und ich um meine Mutter her, neben deren Kanapee Streckfuß seinen gewöhnlichen Platz einnahm, in stil-ler, banger Erwartung des kommenden Augenblicks, der uns, wie wir nicht mit Unrecht dachten, den Freund für immer zu entziehen bestimmt war. Es schlug 7 Uhr — da sprang Streckfuß auf — umarmte uns alle mit einzelnen Lauten von Lebewohl — und ver-schwand. Erst acht Jahre darauf sahen wir ihn ganz unvermutet im Kongreßwinter wieder**^).
    In unserm Kreise war nun eine große Lücke gelassen. Sie hat sich auf diese Art, in diesem Sinne nie mehr ausgefüllt, wie denn kein Mensch, und wäre er auch nicht so ausgezeichnet wie Streckfuß, je ganz durch einen andern ersetzt wird. Dieser Rempla9ant kann manche bessere, angenehmere Eigenschaften haben, der Abgegangene ist er doch nicht. Hier fehlt etwas — dort ist etwas zu viel. Das merkt man im Anfange gleich und oft schmerzlich. Nach und nach gewöhnt man sich an diese neue Persönlichkeit, und beruhigt sich über das, was nicht mehr so ist wie das früher Da-gewesene. Ist aber der Entrissene ein Ausgezeichneter, sind uns seine trefflichen Eigenschaften im nähern Umgange recht klar geworden, haben wir uns mit Liebe an ihn gewöhnt, und sind wir versichert, daß auch er uns liebevoll in sein Herz geschlossen, dann
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    handelt es sich beim Verluste nicht um die oder jene einzelne Eigenschaft, die der Freund besaß und die wir fortwährend vermissen, sondern die Lücke bleibt ganz unausfüllbar, und nach dreißig Jahren lebt in dem Entfernten wie in dem Zurückgebliebenen noch die-selbe Überzeugung wie dieselbe Freundschaft fort.
    Mein Mann hatte durch die Art seiner Geschäfte öfters Veranlassung, kleine Reisen in den Gebirgen von Unter-Österreich und Steiermark zu machen, wo er die Wälder zu besehen, von Kreis- und Forstbeam-teri begleitet, die Lokalitäten zum Fällen,, und zur Transportation des Brennholzes für den Bedarf der Hauptstadt und die nötigen Vorrichtungen und Vor-kehrungen zu diesem Zwecke anzuordnen hatte. Auch in diesem Sommer von 1806 fiel eine solche, etwas län-gere Reise vor*'"), und diesmal nahm Pichler auch mich, meine Mutter, die sich nicht gern von uns tren-nen mochte, und für ihr Alter noch sehr rüstig war, und unser kleines Töchterchen mit. Auch eine liebens-würdige Freundin, Frau v. S—^1*'^), die aus Ober-Österreich gebürtig war, seit ihrer Verheiratung in Wien gelebt hatte, und im vergangenen Winter Witwe geworden war, wollte mit uns zu gleicher Zeit einen Teil dieser Reise machen. Eine Unpäßlichkeit hinderte unsere gleichzeitige Abreise, ich traf sie erst in Linz wieder, und wir hielten uns, während Pichler seine Exkursionen machte, bei dem Lehrer meiner Jugend, jenem Bischof von Linz, den ich das erstemal 14 Jahre früher mit meinen Eltern und meinem Bruder besucht hatte, auf seinem Schlosse Gleink, unfern von Enns, auf. Ein stiller, einsamer Aufenthalt, der uns ein ge-
    wisses wehmütiges Gefühl gab. Bischof Gall war wohl noch ganz derselbe treue Freund und gütig aufmerk-same Wirt für uns, der er in jener Epoche gewesen; aber seine Geistesheiterkeit und seine körperliche Ge- ' sundheit hatten durch die Zufälle, Schrecken und Be-fürchtungen der langen Kriegsjahre, welche früher seine Familie in Schwaben, und ihn nun selbst bei zwei Invasionen in Oberösterreich getroffen hatten, so sehr. gehtten, daß wir uns die traurige Überzeugung nicht verhehlen konnten, der

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