Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Wunder ent-standenen, unten im Markte besitzt; denn für das Stift bringt eine künstHche und kostspieHge Wasser-leitung den Bedarf aus einem eine Viertelstunde ent-legenen Orte, Hohenbrunn genannt.
In den Katakomben des Klosters sind eine Menge Gebeine kunstvoll aufgeschichtet, und die Sage läßt
glauben, daß es Gebeine der in dieser Christenverfol-gung umgekommenen Märtyrer sind. Auch eine Sta-tue der Valeria findet sich hier, und das Wunder des plötzHch entspringenden Wassers, welches dem Heili-gen zugeschriebn wird, mag wohl die Veranlassung zu seiner Anrufung in Feuersgefahr gegeben haben; denn sonst kommt, wenigstens so viel mir bekannt wurde, nichts vom Feuerlöschen in dieser Erzählung vor.
Mit großem Vergnügen verfolgte ich nun den Vor-satz, diese Legende in den Stoff des Agathokles zu ver-weben, und zugleich eine kleine Neckerei gegen eben den verehrten Mann, dem ich die Erzählung dankte, auszuführen, und gleichsam ihm zum Trotze, der alle Vermischung der Poesie und Geschichte als strenger Wahrheitsfreund haßte, und der neueren Dichtkunst, Ossian ausgenommen, überhaupt abhold war, den Schutzheiligen seines Klosters und die fegend umher als Episode in einen Roman zu verflechten*'^^.
Überhaupt war es oft, ja meistens etwas also Zu-fälliges, welches mir die erste Anregung zu irgend einer Ausübung meiner Innern Anlagen darbot; wie denn z. B. der ganze Agathokles durch die Lesung Gibbons *''') und meinen Unwillen über dessen Gesinnung gegen das Christentum, die Gestaltung desselben aber durch ei-nen sehr schönen engHschen Kupferstich, den Tod des heiHgen Stephanus vorstellend, veranlaßt worden war. Auf diesem Bilde, das in dem, damals'von unserm be-rühmten Schreyvogel errichteten Industriecomptoir*''^ zu sehen war, liegt der Märtyrer, ein JüngKng von der edelsten Bildung, tot im Kreise einiger trauernden Christen, die ihn umgeben, und die Schönheit dieser Gestalt, die selige Verklärung, v/elche seine Züge zeig-ten, und die ganze Idee, welche diesem Bilde zugrunde
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lag, bestimmten mich, den Helden meines Romans einen christlichen Märtyrer sein zu lassen, der aus einem erhabenen Begriff von der Würde und Gemeinnützig-keit seiner Religion sich für dieselbe aufopfert, und alle Güter des Lebens, selbst die, welche bessern Menschen ewig teuer bleiben, für diese Idee hingibt.
Wenn mich irgend ein Gedanke auf diese Art er-griffen hatte, ging es wunderbar in meinem Innern zu. Ich war mir keines eigentlichen Nachsinnens, keines Erfindens bewußt; ja ich möchte sagen, mein Denken, mein ganzer Zustand war etwas Passives. Es war mir stets, als läge das Ganze meines Planes oder künftigen Werkes bereits fertig in meiner Seele. Da bedurfte es denn nur des Wiedererkennens, des Deutlichmachens, und ich kann das, was in meiner Seele vorging, mit nichts passender als mit der Wiederherstellung eines alten Bildes vergleichen. Dies ist auch schon ganz vorhanden, und man hat nichts anders zu tun, als es durch zweck-mäßige Mittel aufzufrischen, damit es erkennbar werde. Wie zuerst die Hauptmotive anschaulich werden, dann allmähhch die kleinern Formen deutlich hervor-treten, nach und nach sick die Farben sichtbar zeigen, bis endlich das ganze Bild in allen seinen Umrissen, in Zeichnung, Kolorit usw. vor unsern Augen steht, so enthüllte sich, ohne ein bewußtes ferneres Nachsinnen, das Ganze wie von selbst allmählich in meiner Seele, und es kam mir stets wie etwas Gegebenes, nie wie etwas Erfundenes vor.
Dieser Prozeß, der in der Seele jedes Künstlers — seine Idee mag nun „in Wort oder Tat, in Bild oder Schall" ins Leben treten — in den Momenten der gei-stigen Empfängnis vorgeht, hat für mich stets etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes gehabt, das mir auf die
höhere Abkunft unserer Seele, auf ihren Zusammen-hang mit der gesamten Geisterwelt zu deuten scheint.
■ Jene Menschen, denen die Natur Anlagen anderer Art gegeben hat, können sich keine Vorstellung von dem machen, was in der Seele eines Dichters vorgeht, ujid es ist dem Ähnliches, was Fenelon in einer seiner Be-trachtungen über das innerliche Leben einer frommen Seele sagt, daß nämlich die Weltmenschen das, was in derselben vorgeht, für einen Traum, einen Wahn hal-ten werden*'^). Es gibt viel solcher Rätsel, und eines derselben, vielleicht eines der wunderbarsten, ist die Anlage zur Musik und Komposition. In einem Auf-sätze, den ich für irgend einen Almanach vor mehreren Jahren geschrieben, habe ich meine
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