Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Dienste zu suchen. Er schrieb po-litische Aufsätze für ein Journal, welches Schlegel damals herausgab, und hielt in den Seitenzimmern
der Redoute Vorlesungen über „die schönen Rede-künste« "2).
Bei diesen Vorlesungen zeigte er sich wahrlich als ei-nen Redekünstler. Sein Vortrag war gewählt, stets zier-lich, zuweilen kräftig, ja ergreifend. So z. B. als er jene berühmte Parlamentssitzung schilderte, in der Fox und Burke, die sonst Freunde gewesen waren, um ihrer ver-schiedenen, ja entgegengesetzten politischen Ansichten willen, sich öffentlich und auf immerdar trennten. Mit Vergnügen und Erschütterung hörte man diese Schilde-rung, indes will ich nicht behaupten, daß jene nicht
recht hatten, welche Müllern einige Koketterie im Vortrage vorwarfen. Sichtlich war er viel mehr als Friedrich von Schlegel bei seinen Vorlesungen bemüht, sie angenehm zu machen. Er las mit gemäßigter, nicht ganz von Manier freier Stimme, zusammenhängend. In geregeltem Flusse aus seinem Manuskripte,. das voll-kommen vor der Lesung geordnet zu sein schien. Schle-gel hingegen, obwohl sein Vortrag lebendig und natür-licher als der Müllers war, mußte oft in seinen Blättern den Zusammenhang nachsuchen, die Einschiebsel nach-holen, manchen Satz wiederholen. Das war nun freilich etwas störend, und dies wußte Müller zu vermeiden.
Doch war manches, worin ich mit Müller durchaus nicht übereinstimmen konnte. Auch er nannte Schiller — nach der Weise der neuen Schule — einen rhetori-schen Dichter oder vielmehr eigentlich gar keinen Dich-ter, sondern bloß einen Rhetor. Er erzählte uns in einer Gesellschaft die Geschichte des gräßlichen Kleistschen Wechselmordes'^^) auf eine Art, welche mir genugsam zu zeigen schien, daß ihm das Verbrecherische, Verkehrte, ja Widersinnige einer solchen Handlung vor dem soge-nannten Grandiosen der Gesinnung, welche sich über alle bisher gewohnten und anerkannten Schranken hin-auszusetzen wagt, verschwand. —
Überhaupt schien sich, seitdem diese neue oder ro-mantische Schule ihre Lehren verbreitet, so manche früher verehrte Autorität in der Uterarischen Welt vom Altare gestoßen, so manches früher allgemein anerkannte Verdienst zu bezweifeln und zu benagen angefangen hatte, dieser Geist der Neuerung, dies Herabziehen alles früher Verehrten, dieser Kampf gegen so viele kon-ventionelle Schranken — auch auf die gesellige Welt und die sittlichen Begriffe zu erstrecken. Man schalt
Kotzebue und Lafontaine als unsittlich, weil sie das Laster oder die Sinnlichkeit in täuschender Hülle und unter versöhnenden Formen in ihren Werken einführ-ten, und man hatte hierin recht; obgleich man mit diesem allerdings gerechten Tadel das ijbrige Verdienst dieser beiden Literaturen nicht ganz niederschlagen konnte, wie man wohl gewollt; denn Kotzebues Stücke erhalten sich nach 40—50 Jahren noch auf unsern Büh-nen, ebenso viele von Iffland, über dessen spießbürger-liche Charaktere, über dessen beschränkte, allzu haus-backene Ansichten man sich ebenfalls ^u lachen und zu spotten erlaubte. Was wollte denn die neue Schule nun eigentlich, da ihr der eine zu locker, der andere zu beschränkt war ? Das glaube ich, wußte niemand, selbst die Koryphäen derselben nicht. Sie rissen nur ein, ohne aufzubauen, sie brachten nur eine Verwirrung der Be-griffe hervor, und nannten Worte oder Darstellungen oder auch wohl Handlungen sittlich, schön, erhaben, welche gegen alle bisher bekannten Vorschriften der Sittlichkeit und Würde stritten. EheHche Treue, Ge-horsam gegen Eltern, Fügen in häusliche Verhältnisse, Achtung für eingeführte Sitte usw. wurden als been-gende Schranken, die einen starken und unabhängigen Geist nicht abhalten dürfen, dargestellt, und das Hin-wegsetzen darüber war eben jenes Grandiose, wie das damals in Mode gekommene Wort hieß, womit man je-den Verstoß gegen hergebrachte Formen, jedes Auf-lehnen gegen Pflicht, ja, jede Übertretung derselben be-schönigen zu können glaubte. So verwirrten sich die Begriffe von Recht und Unrecht, von Erlaubt und Ver-boten, ja von Wahrheit und Lüge, und es lassen sich vielleicht in den Grundsätzen und Beispielen, welche diese Schule in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts
aufzustellen begann, die Keime und ersten Wurzeln der widrigen und verderblichen Geistesrichtungen nach-weisen, die in der literarischen und geselligen Welt zu Extravaganzen, Zerrüttung der Familien, Untergang schöner Talente, ja oft zum Selbstmorde führten.
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