Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Kurierwege, dicke Pakete, die denn kaum in einigen Zeilen Nachricht von dem fernen Freunde, hingegen große Auszüge oder Notaten aus Büchern ent-hielten, wie sie Merian eben damals las. Bei allen diesen Sonderbarkeiten waren mir seine Briefe oder Blätter stets eine erwünschte Erscheinung, und mit warmem Andenken ruf ich dem Langedahingegangenen einen herzlichen Scheidegruß in jene Welt nach, in welcher wir uns bald begegnen werden.
Es war im August 1813, schon gegen das Ende des Monats, und ich hatte mit einer Pünktlichkeit, die ich mancher Offiziersfrau an meiner Stelle gewünscht hätte, beinahe täglich einen Brief von Merian aus Dresden er-
halten. Nicht als ob diese Nachrichten von dem fernen Freund mir nicht erwünscht gewesen wären, aber weil ich sie doch mit sehr großer Ruhe erwartete, und wenn sie einmal ausblieben, ohne lebhafte Unruhe vermissen konnte. Auch war bis gegen Ende des Monats noch nichts Entscheidendes vorgegangen, und nur von klei-nern Gefechten Nachricht gekommen, bei deren einem schon etwas früher Körner verwundet worden war, und sein so frommergebenes, so heldenkräftiges Sonett:
Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben — gedichtet hatte; worauf er sich zu seiner Heilung nach Karlsbad begab, wo damals sich seine Eltern aufhiel-ten'2®); dann aber wieder zu seinem Korps stieß, um mit dem Schwerte zu streiten, wie er es früher mit der Leier gegen den allgemeinen Feind getan. Eines Tages gingen wir eben zu Tische, und ich fand, wie es damals fast je-den Tag der Fall war, einen Brief von Merian auf mei-nem Teller. Es war ein kurzer Zettel — wie gewöhn-lich. Ohne weitere Aufschrift oder Einleitung enthielt er ein Gedicht auf Körners Tod, von Apel'^') ^- und unten bei Körners Namen die Note: Geblieben in einem Gefecht bei Gadebusch im Mecklenburgschen den 26. August 1813.
Das war die Weise, wie der sonderbare und nur zu originelle Mann einer Frau, die er gewiß achtete und der er wohl wollte^, den Tod eines Jünglings verkündete, den er selbst vor anderthalb Jahren mit warmer Emp-fehlung an sie gewiesen, und die sich seitdem in ihren Briefen so oft und mit so herzlicher Teilnahme über den talentvollen, edlen Theodor ausgesprochen hatte. Ich war aufs Äußerste betroffen, doch hatte ich die Ge-walt über mich, meiner Mutter und meinem Manne, denen der Verstorbene ebenfalls sehr wert gewesen, und
die mich nach dem Inhalt von Merians Briefe befragten, weil diese Nachrichten unter uns Gemeingut waren, die trostlose Botschaft zu verschweigen, um ihnen nicht das Mittagsmahl zu verderben, wie es mir verdorben war. Übrigens glaube ich, daß ich ziemlich die erste in Wien war, die diesen großen Verlust erfuhr — aber auch auf welch unpassende Weise!
Bald verbreitete sich die Kunde durch die ganze Stadt, und das bedeutende Opfer, das in Theodors Per-son, auf welchen ganz Deutschland mit Achtung blickte, der guten Sache ohne Nutz und Förderung bis dahin gefallen war, diente nicht dazu, unsere Hoffnungen zu beleben oder unsern Mut zu erhöhen'^'a).
Brentano führte in diesen Tagen oder etwas früher, bald nach der Kriegserklärung, ein paar fremde Damen aus Breslau, wenn ich nicht irre, bei mir ein. Es war von dem beginnenden Kriege, von unsern Aussichten, An-strengungen usw. die Rede. Mit jener liebenswürdigen Naivität, mit welcher West- und Norddeutsche (diese ganz vorzüglich) sich berechtigt glaubten, Österreich nicht allein tief unter sich zu sehen, sondern es uns bei jeder Gelegenheit ins Gesicht zu sagen, rief Brentano in seiner Lebhaftigkeit aus: Mein Gott! wie können sich die Wiener Hoffnung machen, Napoleon zu schla-gen, da sie so viel Wohlgefallen an . . . (ich weiß nicht mehr, welchen mittelmäßigen Schauspieler er hier nannte) finden! Dann begannen die Damen mit der-selben Ungeniertheit mir ihre Ansichten zu demonstrie-ren; denn natürHch war aller in Deutschland vorhan-dene Verstand das Erbteil der Preußen und Norddeut-schen, und für uns arme Österreicher und Katholiken nichts übrig geblieben. Derlei Verbindlichkeiten er-laubten sich die Fremden sehr oft, uns ins Gesicht zu
Clemens Brentano Anonymer Stich — k. k. Fidel-Commiß-Bibliothek, Wien
sagen; aber wir berechtigten sie auch dazu durch den gar zu großen Mangel an allem Nationalgefühl, den wir leider mit allen'Deutschen teilen, aber sie in diesem Stücke noch übertreffen. Wäre ich so unzart gewesen wie diese Personen, so hätte ich niit Fug und Recht diese Preußinnen an den totalen
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