Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
mir über dem Anschauen des hübschen Jünglings verloren, und als ich sie am Boden suchen wollte, kam er selbst — o welcher Zuwachs an Verwir-rung! — mir zu helfen. Von dem Augenblicke an, war meine Unbefangenheit dahin, und wenn ich mich gleich recht wohl erinnere, daß von jenem ,,Blitz, der
In zwei Herzen zugleich einschlägt", von jenem „Vorgefühl, daß jetzt das Schicksal unsers Lebens ent-schieden sei"^^^), gar nichts in meiner Seele war, viel-leicht schon darum nicht, weil jene Ideen, Geburten einer spätem phantastischem Zeit, damals nicht Mode waren, so weiß ich doch noch recht gut, daß ich glaubte, Herr v. Häring könnte so ziemlich dem Ideal entspre-chen, das ich mir von einem vollkommenen Manne ent-worfen hatte.
Auch er schien von ähnlichen Gefühlen für mich beseelt; sei es nun, daß ich ihm wirklich gefallen oder daß die Betrachtung der mancherlei Vorteile, welche eine Verbindung mit der Tochter des angesehenen und vermöglichen Hofrates Greiner bringen konnte, ihm selbst einleuchtete oder von seinen Verwandten, die auch die unsrigen waren, angeraten wurde — genug, er näherte sich mir auf entschiedene, nicht zu mißver-stehende Weise, und mein jugendliches Herz war ganz glücklich in diesem Gefühl einer ersten, tugendhaften, und von beiden Familien gut geheißenen Liebe. Daß Häring trotz seiner Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit sich immer in einer gewissen ruhigen Haltung gegen mich zu behaupten wußte, die von einem lebhaftem Geiste manchmal zu Übereilungen hingerissen wurde; daß er diese Übereilungen liebreich, aber offen tadelte; daß er überhaupt hier und dort manches zu hofmeistern an mir fand, irrte mich lange nicht. Mein Ideal war ja ernst, besonnen, weise, viel etwas besseres als ich selbst, und so nahm ich jede Zurechtweisung demütig und willig hin. Noch ein zufälliger Umstand trat hinzu, um dies untergeordnete Verhältnis auszubilden. Häring besaß die Musik, in der auch ich mich nicht ohne Bei-fall übte, in sehr hohem Grad. Er hatte vor seiner Reise
Silhouette von Illeronymus Löschenkohl 3streichischer Nationakaschen-Kalender für 1789. Wien. Eild Nr. XXXV)
Stadtbibliothek, Wien
die Violine meisterlich gespielt ^^2), und diese Fertig-keit während jener Jahre in der Fremde noch ungleich höher ausgebildet. So stand er in dieser Rücksicht als vollendeter Virtuose vor mir, der den Dilettanten kaum ahnen ließ. Er akkompagnierte mir nun bestän-dig, er studierte die herrlichen Werke Mozarts und Haydns mit mir ein; er hielt mich streng, ließ mir den kleinsten Fehler in Takt oder Betonung nicht hingehn, und meine Neigung für ihn, so wie mein hoher Begriff von seiner Vortrefflichkeit machten mich zur gelehrigen Schülerin und gaben diesen Musikübungen einen na-menlosen Reiz. Sehr oft unterhielten wir uns, ein bißchen kindisch, ich muß es zugeben, damit, irgend einem gehaltvollen Tonstücke jener Meister einen . Redesinn, eine dramatische Handlung oder Situation unterzulegen, die wir dann durch dasselbe vollkommen ausgedrückt zu hören vermeinten. Das war eine gar zu angenehme Unterhaltung für mich, und daß unsere Meinung sehr oft nicht zusammentraf, daß Häring in demselben Tonstück, das mir ein Gewitter darzu-stellen schien, eine Schlacht zu erkennen glaubte, oder, wo ich eine Klage der Sehnsucht fand, einen verliebten Vorwurf hörte usw. — schien mir natürlich; denn jene Bedeutungen waren gar zu willkürlich, um sehr be-zeichnend zu sein. Nur gefiel es mir nicht, daß seine Auslegungen oft gar zu trocken und prosaisch klangen. Auch in der englischen Sprache, die damals, vor 50 Jahren, Mode zu werden anfing, die Häring schon früher mit Fleiß und Genauigkeit getrieben, und in England, wo er mehr als ein Jahr lebte, zu großer Fer-tigkeit gebracht hatte, wurde er mein Meister. Wir lasen zusammen englische Gedichte, Romane usw. Er gab mir ordentliche Pensa auf, die ich übersetzen
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mußte, und deren Fehler er korrigierte; aber hier waren meine Progressen denen in der Musik nicht gleich. Das Studium einer Sprache hat stets etwas Trockenes, Härings Methode wußte diese Trockenheit nicht zu mil-dern, mich fing das an zu langweilen, und ich dachte zuweilen, daß er die nicht häufigen Stunden, in wel-chen wir ungestört beisammen sein konnten, mit etwas Besserem als grammatikalischen Übungen ausfüllen könnte. So blieb die englische Sprache bald beiseite liegen, und erst lange Jahre darnach, als Walter Scotts und Byrons Schriften die ganze
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