Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Wolken reicht. So also sah mein Schutzgeist aus, wohnte in dem schönen Stern, den ich in hellen Nächten über mir funkeln sah, umschwebte mich, beobachtete mich und war betrübt oder ungehalten, wenn ich Fehler beging. Jeden Abend examinierte ich mich nach Gellerts Selbstprüfung: Der Tag ist wieder hin^^^), gleich-sam in Gegenwart meines Schutzengels und glaubte zu fühlen, ob er freundlich oder strenge dabei aussah. --^ Zuweilen erschien er mir im Traum — unendlich schön, von weit mehr als menschlicher Größe, eine Krone von Rosen im hellbraunen Haar (jener auf dem Altarblatt war ganz blond) und meine Seele versank in Entzücken, Demut und Hingebung vor ihm; denn — wie ich jetzt wohl einsehe — die erwachenden Gefühle der Jungfrau mischten sich in die religiösen Vorstellun-gen, und der künftige Geliebte verschmolz mit dem
schönen Schvitzgeist. Wie vielen Anteil aber auch diese Täuschung an jener Verehrung meines Engels und an mancher religiösen Erhebung gehabt haben mochte, so erkenne ich doch, daß es sichtbare Waltung der Vor-sehung war, die meinen, durch den Zeitgeist erschüt-terten Glauben und das Bessere in mir auf solche Weise bewahrte. Ich schrieb mir auch — in meinem drei-zehnten oder vierzehnten Jahre — ein kleines Gebet-buch zusammen, in welches ich viele der Gellertschen Lieder eintrug und bediente mich dessen in der Kirche und zu Hause.
:J;Kurz vor dieser Zeit hatte Haschka angefangen, mich in der lateinischen Sprache zu unterrichten, die ich mit vieler Lust ergriff und worin ich schnelle Fortschritte machte. Herr von Leon, der früher meines Bruders Mentor gewesen war, hatte unser Haus ver-lassen und eine Anstellung an der k. k. Hofbibliothek erhalten, die er auch bis zu seinem, erst vor einigen Jah-ren erfolgten Tode behielt^^°). An seine Stelle kam ein anderer junger, aber sehr tüchtiger Mann, der später ebenfalls ein kaiserliches Amt erhielt und bis an seinen Tod ein treuer Freund unsers Hauses war. Dieser setzte den Unterricht im Lateinischen bei mir fort, indem ich die Lehrstunden meines Bruders besuchte, da Herr Haschka infolge mancher kleinen Mißverständ-nisse unser Haus verlassen hatte, obgleich er uns immer-fort und fleißig besuchte.
Man hatte damals angefangen, Kinder und junge Leute mehr an Luft und jede Witterung zu gewöhnen. Es wurde also auch bei uns Sitte, daß ich, so oft es nur möglich war, mit meinem Bruder in Begleitung des Hofmeisters spazieren ging. Auf diesen Gängen, die im Winter nur durch die Straßen der Stadt gescha-
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hen, kamen wir denn sehr oft auf den Michaelsplatz, wo damals Artaria^^^) die erste, sehr schöne Kunst-handlung eröffnet hatte. Obwohl noch halbes Kind, fand ich doch viel Vergnügen an Gemälden und Kupfer-stichen, es war mir also sehr angenehm, wenn unser Weg bei Artaria vorüberführte und ich Gelegenheit, fand, die Bilder zu betrachten. Bald aber zog eines vor allen meine Aufmerksamkeit an sich und machte einen tiefen Eindruck auf mein Herz. — Es war dies das be-rühmte Blatt (von Woollet, wenn ich nicht irre): der Tod des Generals Wolf in der Schlacht bei Que-f beck^^^^. Die edle Gestalt des jungen sterbenden Hel-
den, der erhabene Ausdruck seiner Züge, der im Ster-ben noch die Siegesfreude und das God be thanked bezeichnet, womit er die Nachricht empfängt, daß die Feinde flohen, die Trauer der ihn umgebenden Ge-fährten, die die Größe dieses Verlustes anschaulich machte, alles dies ergriff mich tief und General Wolf, der die Weltbühne zehn Jahre vor meiner Geburt verlassen hatte, ward der geheime Gegenstand einer — wahrlich schuldlosen Neigung und manches zärtlichen Gedichtes, das ich seinem Andenken weihte. — Alle Tage wußte ich es nun einzuleiten, daß wir bei Ar-taria vorüberkamen und ich mein Ideal zu sehen be-kam; in unserm Garten errichtete ich ihm in einem schattigen verborgenen Winkelchen ein Denkmal, einen kleinen Erdhügel, auf den ich ein Kreuz pflanzte und ihn mit Blumen und Bändern schmückte, und so erhielt sich diese Geisterliebe eine Weile in meiner Phantasie.
Ich war stets gern im Sommer auf dem Lande, das heißt, in dem Garten meiner Eltern auf dem be-nachbarten Dorfe Hernais gewesen. Die freie Natur,
Bäume, Blumen, das Gebirg in der Ferne, schöne Son-nenuntergänge und Mondnächte sprachen mein Ge-fühl an und es war mir immer leid, wenn wir im Herbste in die Stadt zurückkehrten. Ungefähr in dieser Zeit des Erwachens meiner Empfindungen erschien Vos-sens Luise, nämlich der
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