Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
Geburtstag, der Brautabend und der Morgenbesuch, jedes einzeln in den damaligen Hamburger Musenalmanachen ^^^).
Mir ging eine neue Welt in diesen Dichtungen auf. Das war es, was tief und unverstanden in mir gelegen hatte, dieses stille, ländliche Leben, diese genügende Be-grenzung, dieser Frieden, dieses häusliche Glück! In solchen Szenen konnte ich auch das meinige finden, und ein Arnold Ludwig Walter*) schwebte mir in seinem würdigen Ernst, seinem frommen Sinn, seiner prie-sterlichen Hoheit als das Wünschenswerteste vor Au-gen, was ein Mädchen erreichen konnte. Daß es gerade ein Geistlicher war, erhöhte bei mir seinen Wert. Ich hatte Sophiens Reisen von Memel nach Sachsen gelesen und wieder gelesen; denn der Ro-man hat sicher große Vorzüge und es ist schade, daß er so vergessen ist^^^). Auch hier stand ein pastor-licher Held, Herr Eduard Groß, vor allen übrigen glänzend, kräftig und edel da. — Ja! eines solchen Mannes, gerade eines Geistlichen Frau zu werden, in ländlicher Stille mit ihm zu leben, die Heiligung zu fühlen, die sein gottverwandter Sinn, sein frommer Wandel um sich verbreitet, ihm anzuhängen, ihm freu-dig zu gehorchen, mich kindlich von seiner Tugend und Frömmigkeit leiten zu lassen, erschien mir als das schönste Los, das ich erstreben konnte; und diese Richtung, die damals meine Empfindungen nahmen
*) In Vossens Luise.
oder vielmehr wie sie sich aus meinem Innern entfal-teten, blieb so ziemlich der Typus, der ihnen für immer eingedrückt war.
Nun gab mir Haschka Unterricht in den schönen Wissenschaften, vmd Batteux^^^) war unser Lehrbuch, aus welchem ich Auszüge zu machen angehalten wurde, so wie aus Erxlebens Physik^^®), in welcher mich Haschka ebenfalls unterwies. Überhaupt mußte ich viel schreiben, übersetzen, aus dem Lateinischen und Französischen, und Auszüge aus den Lehrbüchern, Exzerpte aus Gedichten machen. Ich halte dies für eine sehr nützliche Übung für junge Leute, und glaube, daß ich ihr vieles verdanke; denn ich gewöhnte mich, den eigentlichen Sinn, den Kern jedes Vortrags aufzu-suchen, zu fassen und deutlich darzustellen, was mir später von vielfachem Nutzen war, und jene Exzerpte oder Anthologien leiteten mich dahin, die Schönheiten eines Werkes zu studieren, zu empfinden, und mir gleichsam eigen zu machen.
Nachdem ich diesen Unterricht nach Batteux ziem-lich gefaßt hatte, fing ich an, mich in Fabeln und Idyl-len zu versuchen. Geßner^^'), Voß^^^), Virgil, eine deutsche Übersetzung des Theokrit^^^) wurden mir in die Hand gegeben, und ich schrieb eine Menge Zeugs in Geßnerscher poetischer Prosa oder in Hexametern nieder, das längst untergegangen ist, v/eil es kein besse-res Schicksal verdiente, das aber doch dazu diente, mich im Stil und Vortrag zu üben.
So erreichte ich mein fünfzehntes Jahr und mithin eine bedeutendere Epoche meines Lebens. Meine El-tern waren mit der Familie jener Frau von Häring, der Patin meines verstorbenen Schwesterchens, nicht bloß weitläufig verwandt, sondern seit langem durch Bande
herzlicher Freundschaft verbunden. Herr von Häring hatte zwei Söhne und zwei Töchter, die alle um einige oder auch viele Jahre älter waren als ich^^"), wie denn die ältere Tochter nicht mehr als ein ganz junges Mäd-chen einem Bankier „von Schwab" ^^^) die Hand gab, als ich kaum zehn oder elf Jahre zählte. Der jüngere Sohn, ein sehr hübscher Jüngling, ebenfalls um 8—9 Jahre älter als ich, hatte mir immer freundlich begegnet, und sein meisterliches Violinspiel meine Aufmerksam-keit auf ihn geheftet ^^^), ohne daß ich etwas weiteres dabei dachte. Nun war er ein paair Jahre auf Reisen ge-gangen, hatte Frankreich, England, einen großen Teil von Deutschland gesehen, und wurde mit großen Hoff-nungen von seiner hohen Ausbildung und moralischen Vortrefflichkeit im Vaterhause und in dem ganzen Freund- und Verwandtschaftskreise zurück erwartet. Er kam an und einer seiner ersten Gänge war zu den treuen Freunden seiner Eltern, zu uns. Ich hatte wenig oder gar nicht an ihn gedacht; aber ich wurde doch sehr frappiert, als er eines Abends, da eben wie immer Gesellschaft bei uns war, eintrat. Seine natürlich vorteilhafte Gestalt hatte sich noch ange-nehmer ausgebildet. Er war von mehr als mittlerer Größe, blond, mit blauen Augen, bedeutenden Zügen und ernster würdiger Haltung, hatte durchaus nichts Gecken- oder Stutzerhaftes, vielmehr etwas Gehaltnes, das fast bis ans Strenge ging. Eine Nadel in meiner Stickerei ging
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