Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
eine Beschrei-bung ganz überflüssig wäre. Das glaube ich aber be-haupten zu können, daß ihre teils reizenden, teils er-habenen Schönheiten von unserer kleinen Karawane mit tieferem Gefühl aufgefaßt wurden, als es jetzt wohl bei der Mehrzahl der Ischler Kurgäste der Fall sein mag, welche nur Zerstreuung, Veränderung und das, was Mode ist, aufsuchen.
Die Masern, eine eigentliche Kinderkrankheit, die uns früher verschont hatte, ergriff jetzt plötzhch meinen Bruder, der sie sich in einem Hause geholt, wo wir für den Abend gebeten waren und wo ein krankes Kind, dessen wahres Übel wir nicht kannten oder das man uns verheimHchte, auf dem Sofa neben uns lag und sie meinem Bruder mitteilte, der ihm zunächst saß. Erst am achten Tage ergriff die Krankheit auch mich; sie war, wie bei Xaver, sehr gutartig, dennoch fühlte ich mich sehr übel, und besonders bei der Eruption, indem ich zwar nirgends am Körper einen Schmerz, aber in jedem Fleckchen der Haut ein unnennbares Unbehagen fühlte. Nach 8—lo Tagen war alles vor-über, und wir kehrten beide in die gewohnte Lebens-weise uiisers väterlichen Hauses zurück. Während dieser Zeit hatten unsere jugendlichen Freunde und Freundinnen uns ohne alle Scheu an unsern Betten besucht, was uns höchst willkommen war. — Sei es nun, daß die meisten diese Krankheit schon gehabt
hatten oder sich nicht davor fürchteten. Überhaupt erinnere ich mich recht wohl, daß dazumal (etwa die Kinderblattern ausgenommen, deren Verheerungen in-dessen die Inokulation schon mächtig entgegengearbei-tet hatte) diese Scheu vor möglicher Ansteckung nicht so groß, so allgemein, so —ich möchte sagen, kindisch war wie jetzt, da man, wenn es nur angeht, das Haus nicht betritt, in welchem bei irgendeiner Partei eine Kinderkrankheit: Scharlach, Masern usw. herrscht, oder es kaum wagt, einen Bedienten nach Erkundigung hinzusenden. Waren wir damals unbesonnener oder weniger egoistisch ?
Ich komme nun zu einem wichtigen, wohl dem wich-tigsten Abschnitt in meinem Leben, zu den kleinen Ereignissen und Verkettungen scheinbarer Zufällig-keiten, welche mich zu der Bekanntschaft mit meinem Gemahl, und somit zu dem Ursprung meines Lebens-glückes führten.
In dem Bureau meines Vaters arbeiteten nebst meinem Bruder noch mehrere junge Männer, welche alle von ausgezeichneten Fähigkeiten und sittlicher Würde waren, wie denn, ich darf es mit Stolz sagen, um meine Eltern sich von jeher stets ein Kreis vorzüg-licher Menschen sammelte und unser Haus (der edle Heinrich von Collin sagte uns das zwanzig Jahre nach-her noch oft) das Augenmerk besserer junger Leute war, die nach feinerer und höherer Bildung strebten. Auch haben die ausgezeichneten Plätze im Staate, zu welchen jene Männer späterhin meist gelangten, be-wiesen, daß sie bedeutenden Wert hatten. Diese Her-ren waren alle genaue Freunde meines Bruders und besuchten beinahe täglich unsere Abendgesellschaften. Einer aus ihnen^•'^), der denn auch, seiner außerordent-
liehen Geschicklichkeit sowie seiner Sittlichkeit wegen meines Vaters Liebling war, zog bald, eben durch dasS viele Güte, das mein Vater von ihm sprach, meine Aufmerksamkeit auf sich. Aber eine groi3e Schüchtern-heit, eine Ungewohntheit, sich in den Kreisen der größern Welt zu bewegen, gaben ihm eine etwas ge-zwungene Haltung, und dies schadete ihm, ich muß es zu meiner Beschämung sagen, in meinen Augen im Anfange unserer Bekanntschaft. Ich glaubte wohl das Gute, das andere von ihm sagten, doch ich ließ es auf sich beruhen, ohne ihn näher kennen lernen zu wollen. Aber mein Vater suchte ihn selbst, immer mehr in unser Haus zu ziehen. Er war bei allen unsern Bällen und kleinen Unterhaltungen gebeten, und hat mir später ' gestanden, wie peinlich ihm dies war, da er nicht gern unter vielen Menschen sich befand, und doch auch seines Hofrats Einladungen nicht wohl ausschlagen konnte.
Allmählich nun, im often Zusammensein, fingen seine vortrefflichen Eigenschaften an, Eindruck auf mich zu machen, wozu wohl die Bemerkung beitragen mochte, daß auch ich ihm nicht gleichgültig war, und sein Gefühl, trotz seiner Schüchternheit oder vielleicht eben dadurch, sich unwillkürlich zuweilen verriet. Meine Eitelkeit war durch die Eroberung dieses vor-züglichen, und trotz seiner Steifheit sehr hübschen Mannes geschmeichelt, und obwohl nur mein Verstand und noch nicht mein Herz für ihn sprach, so war ich doch sehr zufrieden, wenn er oft kam und ich mich seines gehaltvollen
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