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Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]

Titel: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 1769-1843 Caroline Pichler , 1881-1925 Emil Karl Blümml
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Umganges sowie der kleinen Sprüh-funken seiner nur schlecht verhehlten Empfindung für mich erfreute.
    Ich halte es für Pflicht, bei einer Selbstbiographie ganz aufrichtig zu sein, insoweit es die Klugheit, welche
    zwar nie eine Lüge, aber Stillschweigen gebieten kann oder die Schonung erlaubt, welche man noch lebenden Personen oder nahen Verwandten Verstor-bener schuldig ist. Daher dünkte mich der Titel von Goethes Werke: Wahrheit und Dichtung aus meinem Leben, eine Art von Beleidigung für den Leser, der sich nun weder eine psychologische Beobachtung noch eigentliche Belehrung versprechen kann, weil er bei keiner Beschreibung, keiner Begebenheit oder Gefühls-äußerung weiß, ob sie sich wirklich so in Goethes Geist oder Leben zugetragen hat oder bloß von ihm zur an-ziehenderen Unterhaltung seiner Leser erfunden wor-den ist.
    In dieser Ansicht habe ich mich bestrebt, in der Schilderung meines, übrigens unbedeutenden Lebens-laufes stets so vor dem Leser zu erscheinen, wie ich mir selbst bei strenger Prüfung vorkam, und so bekenne ich also, daß ich gegen den jungen Mann, von dem ich eben gesprochen, mich durch kindische Eitelkeit im Anfange unserer nähern Bekanntschaft manchmal ver-sündigt und mich im stillen auf unerlaubte Weise daran erfreut habe, ihn oft an einem Abend mehr als einmal bald in stilles Entzücken, bald in Trauer zu versetzen, je nachdem ich ihm gütig begegnete oder einen seiner gefürchteten Nebenbuhler auszeichnete, deren er — manche wahrlich oft mit Unrecht — in den übrigen jungen Leuten zu sehen glaubte, die unser Haus be-suchten.
    Mein Bruder hatte um diese Zeit mit seinen Ge-fährten im Bureau, mit Herrn Eberl und noch ein paar jungen Männern den Plan zu einer Art von lite-rarischem Verein entworfen, in welchem Aufsätze über mancherlei Gegenstände geschrieben, diese gegenseitig
    vorgelesen, beurteilt und auch bei Gelegenheit Reden aus dem Stegreife gehalten werden sollten; denn die französische Revolution, das Repräsentativsystem und die öffentlichen Reden beschäftigten die Geister der meisten und gerade der bessern jungen Leute.
    Der Plan war sehr lobenswert, sowie der Zweck des-selben: gegenseitige Ausbildung und Vervollkomm-nung zu ihrer künftigen Laufbahn. Da nun bei keinem der übrigen Mitglieder das Lokal und die Umstände sich so dazu eigneten, den Platz für die Versammlungen anzubieten als bei meinem Bruder, so wurde beschlös-sen, die Zusammenkünfte jeden Sonnabend nach ge-endigten Bureaugeschäften bei diesem zu halten. Meine Mutter begünstigte gern einen Plan, der ihrem Sohn Nutzen und Vergnügen versprach, aber es verstand sich von selbst, daß die Herren nicht in unser Zimmer, son-dern in das meines Bruders kamen und wir nicht dabei erschienen.
    Doch konnten wir uns die kleine Befriedigung un-serer Neugier nicht versagen, uns von dem Bruder manchmal die Aufsätze der Herren mitteilen zu lassen, wenn er sie zur Beurteilung bei sich hatte (was von jedem Mitglied mit jedem Aufsatz der andern geschah). Die Gegenstände der Aufsätze waren teils philosophi-scher, teils moralischer, teils politischer Art, und da die Gesellschaft sich gegen drei Jahre erhielt und sie sich regelmäßig jede Woche versammelte, wo dann stets einmal die Aufsätze und das nächste Mal die Be-urteilungen in Gegenwart aller Mitglieder vorgelesen wurden, so kann man leicht ermessen, daß der Aus-arbeitungen eine bedeutende Zahl und von den ver-schiedensten Arten werden mußten. Die Gegenstände wurden von den Mitgliedern nach der Reihe aufgegeben.
    Meine Mutter und ich hatten also einige der Auf-sätze gelesen und viel Vergnügen daran wie überhaupt an der ganzen Anstalt gefunden. Allmählich stieg in mir der Gedanke auf, mich ebenfalls auf dieser Bahn zu versuchen, und ohne, wie es sich versteht, persönlich zu erscheinen, ja auch ohne meinen Namen zu nennen, über einige der Aufgaben, die meiner Fassungskraft so-wie meinem Geschlecht zusagten, ebenfalls kleine Auf-sätze zu schreiben. Diese übergab ich meinem Bruder, der sie nebst den seinigen vorlas, wenn die jungen Herren sich bei ihm versammelten, und ein paarmal ließ sich sogar meine Mutter herbei, ungenannterweise an dieser Geistesübung teilzunehmen. So erinnere ich mich bestimmt, daß sie über die Todesstrafen mit-schrieb, eine Wahl des Gegenstandes, die schon zeigt, wie ernst und mäftnlich ihr Geist war und worin sie gegen Beccaria^"^) sich für die Todesstrafe, aber aus dem Grunde erklärte, weil sie lebenslänglichen

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