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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckhard Henscheid
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aus der Brockhaus-Quelle Leipzig vors Weltgericht schleppen.
    *
    Etwas Gutes hat das neue resp. auch das zuende gegangene Jahrhundert/tausend jetzt doch schon und seit einiger Zeit. Der ganze, der gesammelte und verrammelte schwer aushaltbare Raun- und Deutungsquatsch rund um Kafka und vor diesem noch um Beckett hat – aufgehört; hat fast schlagartig, hat beinahe vollkommen aufgehört und ist – hurra! – zum gnädigen Erliegen gekommen. Noch wunderlicher und auch wunderbarer: Niemand vermißt ihn. Und, ein wenig unerklärlich, ja ein bißchen sogar ängstigend: Offenbar niemand hat das Aufhören öffentlich hörbar realisiert; singt darüber verbitterte Klage- oder halt, gescheiter, nicht Jubel-, aber doch Dankbarkeitsarien.
    Diese in den beiden Fällen, Kafka und Beckett, seit rund fünfzig Jahren so unerquickliche wie scheint’s oder scheinbar unverhinderbare emphatische Exegetenwirksamkeit von den Psychoanalytischen über die Jüdisch-Kabbalistischen und Bürokratiekritischen bis zu den Abendländischen und gar den bieder Christlich-Religiösen: wo wohl sind sie hier wie dort abgeblieben? An ihren verwahrlosten Kathedern und in sonstigen behaglichen Redaktionsstübchen? Rührte sich zu Kafka immerhin aus Datumsanlaß einmal (2009) noch kurz die FAZ und muckte auf mit einem kleinen pflichtgeschuldeten und halbironischen Rückblickwindchen; so zumal zu und um Beckett (und bald auch Joyce?) m.W. kein Pfiff, kein Hauch mehr.
    Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.
    Etliche Erklärungsschemata bieten sich an, über meine vorgängigen Spekulationen hinaus. War das Ganze, der Negativzauber mit den Mülltonnen und den glücklichen Tagen in verlotterten Sandhaufen doch einfach zu unicolor düster, zu uncool, zu unreal und unglaubwürdig? Wenn schon, vom deutschen Beckett-Verleger Unseld angefangen – sie predigten Wasser und ließen sich’s beim Wein gut sein –, alles ins akkurate Gegenteil inkliniert, in das jenseits von Beckett doch überaus wünschenswerte Lebensgefühl und Daseinsziel von Prunk und Glanz und Gloria; die immer brodelndere und zuletzt ganz unbefangene Gier danach, wie sie sich laut Gernhardt (Glück Glanz Ruhm S. 124) bei Unseld in dem auch gleich noch den verstorbenen Adorno mitkassierenden Satz platt niederschlug:
    »Es gibt kein falsches Leben im richtigen« –
    nämlich seinem und dem des Verlags; eine In- und Perversion, wie sie Adorno ja letztendlich auch gern mitgetragen und nachgeholt hätte.
    Oder: Haben die Künste halt doch nur ihre natürliche Lebensdauer, und die Halbwertzeit für den allzu früh und schon zu Lebzeiten allzu heiliggesprochenen Samuel Beckett war eben zum Ausgleich besonders kurz, viel kürzer als sagen wir die Goethes, mit dem es jetzt aber wohl endgültig und definitiv auch sehr bergabgeht und rasch zuende brabbeln könnte?
    Geht, über Goethe wie Beckett hinaus, alle Kunst fix zuende? Und flammt und flackert als dürftige Glut eines aber noch nicht ganz niederzukriegenden höheren Bedürfnisses nur immer wieder geschwind mal auf, um dann noch eiliger erneut zu verlöschen, um dem nächsten Shootingstar bzw. Bedürfnis danach hurtig Platz zu machen? Derart immerhin Marxens wie Adornos Bedürfnisindustrie als leitkulturellen Industriezweig des aktuell wesenden Weltgesindels ihrerseits um so eherner kanonisierend?
    Eignete dem Beckett – eigentlich hier immer dem »Godot« und den Kurzdramen – zuzeiten nur besonders gut die Geeignetheit zum Verrätseltwerden; zur, noch jenseits von Kafka, andererseits Banaldeutung menschlich spätmenschlicher Religiosität vor dem dämmrigen Hintergrund des ohnediesigen zeitgenössischen und längst überfälligen Religionsverschwindens? Stand der Hl. Samuel für die betörte Selbstexkulpation der neohedonistischen und speziell neudeutschen Pseudozivilisiertheit, hinter der nicht allein für den (vielleicht allzu genehmen) Beckettdeuter Adorno, sondern offensichtlich fürs gesamtheitliche Kulturspießertum der altneuen Heiden ein heimelig heimlich geahntes Fortschritts-, ja Lebensgrauen grau in grau hervordüsterte?
    Nachdem jetzt alle halbwegs vernünftigen oder imbezillen Interpretations- und Spielmöglichkeiten ausgeschöpft sind, bis hin zu »Warten auf Godot« exklusiv von und für Frauen: Hat ihn, Beckett, die Müdigkeitserschöpfung ereilt wie ungefähr gleichzeitig das Bedürfnis nach sagen wir jedes Wochenende Wackersdorf? Das wäre zu schön. Der ständige zeitgeistliche Fight Langlebigkeit vs. Kurzlebigkeit

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