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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckhard Henscheid
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0:1 oder auch schon bald 0:10? Allerdings, das Bedürfnis nach einer erneuerten Brokdorf-Simulationsprotestkultur trug im Herbst 2010 schon wieder beängstigende Früchte, im Verein mit den sogar vergleichsweise neuartigen Stuttgart-21-Kindereien – wäre also in einiger Bälde auch schon wieder mit einem – alleluja! – Beckett-Comeback der furchtbarsten Art zu rechnen? Am verheerendsten im TV -3Sat-Kanal mit einer über alle Maße glaubwürdig ihre unwiderstehlichste Kulturdarstellerinnenschnute ziehenden Tina Mendelssohn als der letzten und schon wieder allerjüngsten Beckett-Protagonistinnenschnepfe –?
    »O ja, große Gnaden, große Gnaden!« (Beckett, Glückliche Tage).
    *
    »Weg, ihr Spötter, mit Insektenwitz! Weg! Es ist ein Gott!« So Schiller im 23. Lebensjahre 1782 und noch gar zu naseweis; aber auch viel später und geläufiger, ja bereits belehrt: »Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen.«
    Die Welt liebt es schon gar nicht. Oder allenfalls sehr selten temporär und in kleinen Dosen. Und fast immer an der falschen Stelle. Sondern bestenfalls lieben es die Künstler selber. Sobald sie geschwärzt – viel Feind, viel Ehr – vulgo parodiert, travestiert werden. Aber auch das keineswegs immer und durchaus. Goethe war im wesentlichen dagegen und stellvertretend für ihn später auch Karl Kraus; gegen das Ungemach des Lästerns, gegen den Lästerer, den »Schmäher«, der bei Homer wie in der Bibel, im Alten wie im Neuen Testament, das ungeteilt und absolut Böse ist.
    Spät nun aber ein einkömmliches Geschäft geworden war, ein zumeist etwas schmieriges und schon allzu einträgliches.
    Das »faule Lästern«, das Varnhagen einst beklagte, wahrscheinlich vor zwei Jahrhunderten war es schon wirklich und doppelt faul. Schiller, siehe oben, verachtete es offensichtlich, das lästernde und deshalb wohl auch lasterhafte Spotten. Richard Wagner ward so früh und häufig parodiert, gutmütig oder auch böswillig geschmäht und verspottet, häufig durchaus auch in der Linie seiner eigenen Beckmesser-Figur mit einer Mischung aus beidem, daß er sich’s beizeiten mehr oder minder unverbissen gefallen lassen mußte. Was ihm immerhin in dem Maße leicht- oder schwergefallen sein dürfte, in dem sein eigenes Opernwerk bis hin zu den erhabenen Höhen und versunkensten Tiefen der »Götterdämmerung« selber schon zu 49 Prozent, vielleicht sogar 51 Prozent Parodie, Humor war.
    Die Welt, das nationale und internationale Kulturvolk, aber liebt im Grunde das Spotten und Schwärzen nicht, hat es nie recht gemocht. Im Kulturvolk der »Hunnen« (Churchill) läuft Kultur, hohes Menschentum, allen Modifikationen und Lockerungen zutrotz, noch immer gleich mit Licht, Helligkeit, Klarheit, eben Höhe, ja Hoheit – mit der heutigentags gewaltigen Einschränkung allerdings: Obschon ca. 99,73 Prozent der Kulturanteilnehmer von Karl Rosenkranz’ »Ästhetik des Häßlichen« aus dem Jahr 1853 niemals gehört und gelesen haben, von einer nachgeholten Dignisierung des im herkömmlichen Sinn wenig Schönen also: Die Botschaft als Quintessenz der harmvollen Revolution ist bei fast allen Verbitterten und Verängstigten und mißvergnügt Trostbedürftigen angekommen, die Gärung in den Köpfen weiter noch voranzutreiben und getrost sie zu vollenden: als eitler Schaum und gewissermaßen aber List der Unvernunft. Übers schnöd Ökonomische nämlich, das sich in Kulturbelangen zu approximativ 97,12 Prozent ausschließlich noch übers Häßliche, übers meist begriffslos und unreflektiert Häßliche und Garstige artikuliert. Und nämlich derart ihre professionellsten Teilnehmer, die internationale Regietheaterbagage voran, über Wasser zu halten vermag. Und sich, mit Wilhelm Buschs Doktor Hinterstich zu staunen, dabei gar nicht schlecht ernährt.
    Die gegenwärtige und fast universelle und zutiefst verderbliche Verzauberung unserer Kultur durch Dreck und Müll und Spam und Schrott – sie rührt allerdings keineswegs aus der allseitigen und allenorts konstitutionellen Einsicht, daß unsere Welt selber aus den Fugen und wg. vor allem Auschwitz am Arsch sei. Sondern sie kommt und rührt aus: Linkischkeit. Aus einer Verlegenheit, die gleichwohl und gleichzeitig verschlagen, ja rotzfrech über alle Zivilisation und über deren Leichen schreitet. Verlegenheit der verantwortlichen und dabei restlos unverantwortlichen Täter; verbunden mit der nur allzu richtigen Erfahrung, daß sie’s als Künstler oder Halbkünstler

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