Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
erwähnten Ramon nicht alles gleichermaßen. Zum Beispiel besonders innig, wie im Farbfilm ein Luchs den Fuchs durch den Schnee jagt. Und fast immer das Fußballspiel, zumal dann, wenn der Ball heftig und häufig von links nach rechts, von rechts nach links fliegt und dann nocheinmal. Da fliegen Kopf und Auge mit.
*
Meine Pflicht hab ich getan zur Centenarfeier: Mit dem ziemlich grundlegenden Aufsatz »Der Nobelpreis und seine Leute – Oder: 100 Jahre Narrentreiben«; nämlich also seit 1901. Ein verheerend abrechnerischer Zeitschriftenaufsatz, gestützt auf durchaus gleichsinniges Material aus FAZ und »Zeit« und sogar aus dem Stockholmer Komitee; wiederabgedruckt in »Die Nackten und die Doofen« (2003) und dann in der Werkausgabe Band »Literaturkritik«.
Unselig ging die Geschichte natürlich indem weiter mit Preisverleihungen, die Fehlentscheidungen zu nennen auf schwerste Euphemismen hinausliefe. Es waren auch keine Kalamitäten; sondern unfehlbare Katastrophen. Und weiter ging immerhin auch die Zahl derer, die es merkten und, gleich mir, leis oder laut aufweinten. Als vorerst vorletzter Schnellspanner machte 2008 im deutschen Nachrichtenmagazin der auch sonst unermeßliche Matthias Matussek seine Aufwartung und davon Mitteilung, daß seiner Meinung nach hinsichtlich des Literaturnobelpreises ein Machtwort aus seinem Munde unverzichtbar sei: »Man sollte den Preis nicht mehr ernst nehmen.«
Jenen, den der neue Sekretär Peter Englund im Verein mit weiteren 18 Akademiestimmen z.B. gern an Dario Fo oder, schon betörend töricht, einen Pinsel namens Jean Marie Gustave Le Clézio (2008) verteilt; die gesamte z.B. amerikanische Belletristik aber, nachdem er ab Januar sie zu lesen begonnen hat, für nicht prädikabel findet.
Um den heillosen Fall hier also wirklich mehr pflichtschuldig zu runden: Natürlich meldeten sich, sogar etwas vermehrt, auch immer wieder mal die Stimmen, die, gleich mir, die Hände vors geblendete Auge schlugen, zuletzt etwa Thomas Brussig am 7.5.09 in der »Süddeutschen« im Vorfeld des Preises; nämlich in der besorgt-amüsierten, aber auch genervten Erwartung dessen, was die Akademie wohl diesmal wieder Bodenloses ausbrüte. Brussig aus Erfahrung: »Was sind das für Deppen, die solche Entscheidungen fällen?« Es kam dann ein paar Tage später noch schlimmer als sogar Brussig sich ausmalen konnte: Herta Müller gewann das Lotto; Merkel, Weizsäcker, Köhler, Cl. Roth und Wowereit jubelten gleichwohl und gleichzeitig unverdrossen auf – und einzig Reich-Ranicki, der schon fünf Jahre vorher im etwa gleich unglaublichen Fall Jelinek schwer (und ausnahmsweise leicht sogar aus den richtigen Gründen) aufgeseufzt hatte, stöhnte diesmal noch lauter, wenn auch (»ich will nicht über Herta Müller reden«) fast unhörbar über dies neue Verhängnis, das da uns alle überschattete, nein übertünchte. Sonst ist mir keine auch nur spürbar verblüffte Stimme im Gedächtnis, nach allenfalls leisem Staunen ging alles in die übliche Akklamation über – ja, so weit ist es gekommen, daß ich mich zum zweiten Male mit dem greisen Frankfurter Schreckensmann und seinerseits schwerst gelegenheitstaktierenden Kritikerfinsterling gemein machen muß; die zweitschwerste Niederlage meines sonst so lupenreinen Lebens.
Gottseidank lieferte ein Jahrzehnt vorher wenigstens der seltsamerweise dazu auch gefragte Habermas im Fall Grass eine so erwartbare wie gleichwohl verbal verblüffende Auskunft: Die Stockholmer Entscheidung für den schon älteren Blechtrommler sei erfreulich »antizyklisch«; und damit hatte zwar der auch schon wieder greise Großdenker nachgewiesen, daß er sich schwach an die alte marxistische kapitalistische bzw. antikapitalistische Zyklentheorie erinnere und also – –
Mein Gott, was ein Simpel. Dabei war das Stockholmer Würfelergebnis so platterdings zyklisch, wie ein alljährlicher Kinder- oder Regressivenauflauf eben nur ausfallen kann.
Dafür aber, daß eine spätexpressionistisch verzopfte und postfeministisch gelernte Widerbellerin (so die Erstübersetzung von Shakespeares Komödie) aus Mürzzuschlag i.J.d.H. 2004 ernstlich jenen Nobelpreis erringen durfte, während die wahrscheinlich beste Autorin aller bisher bekannt gewordenen Zeiten, Margaret Millar, nicht einmal im neuen Volks-Brockhaus vorkommt, dafür wollen wir weniger die Schwedenlackel, sondern mehr die trotz all unserer fürsorglichen Nachholarbeit noch immer unverbrüchlich unbedarften Spezialisten
Weitere Kostenlose Bücher