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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckhard Henscheid
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um 1929 als Leit- und Überlebensvorbild; die Makellosigkeit von Rafts wuchtig intransigenter Verbrecherexistenz, versinnlicht in den allzeit blütenweißen (»immaculate«, so das Drehbuch) Gamaschen im Verbund mit der inindulgenten Erledigung unliebsamer Gefahren (Zahnstocher-Charly u.a.): In einem mählich fülliger werdenden Dasein aus Lehrern, Politikern, Troubadours, Kulturträgern usw. verblieb, wenn ich das heute richtig deute, der Gangster in der allerdings einzigartigen Edition Raft sozusagen als ultima ratio, als die aktiv oder zumindest passiv bewundert erträglichste, zurechnungsfähigste Existenzform, Existenzvision, schon gar für uns Provinzhanseln, die aber diese doofe Provinz längst als Lebensschrumpfung zu begreifen in der Lage waren. Und zumal Rafts Mannschaft als »Rigoletto«-Gruppe innerhalb des Florida-Kongresses der Freunde der italienischen Oper die Gesamtidee Kultur sicherlich besser und überzeugender vertritt als, was ich aber da natürlich noch nicht wußte, der damalige Chef der Met, der sehr dümmliche Rudolf Bing.
    Noch das hervorragend disziplinierte und cool und con eleganza sordinierte »Bestanden!«, mit dem leider nicht ich, sondern mein Co-Boss Hermann seine nach der mündlichen Nachprüfung hauchdünn erwirkte Reife mir vor der Türe Harrendem bestätigte, war von der Handschrift des Raftschen »Big Joke!«. Und ewigkeitsweit entfernt von heute üblichen und gottverdammten Erfolgsexpressionen wie Arme-Hochreißen, In-die-Knie-Gehen und »Jaaaah!«-Heulen.
    So oder ähnlich soll Kino letztinstanzlich wirken, soll es sich in die Köpfe pflanzen auf Lebenszeit.
    So oder ähnlich muß es sich schon damals in unseren nun zügig noch viel mächtiger werdenden Köpfen zugetragen haben.
    *
    Überall, wo man in Deutschland hinkomme, teilte Erich Kuby um 1958 im Taschenbuch mit politischen Reiseberichten mit, überall stoße man jetzt und zumal ab circa 1. Februar auf Bachs Matthäuspassion. Ab und zu auch auf die offensichtlich nicht ganz so hochstehende Bachsche Johannespassion. Aber dann wieder Matthäuspassion. Und noch einmal: Matthäuspassion.
    Die Deutschen mußten sich halt mit einiger Verspätung von Hüttler reinwaschen, reinbürsten, klar. Und dazu war der »verinnerlichte Bach« (so hieß er damals besonders häufig) gerade gut, und die Bach-Passion aus naheliegenden Gründen erst recht. Damals schon in Ansbach und noch häufiger in München, wo »die Münchner Bierlümmel« (Nikolaus Lenau im Brief vom 8.10.1841) den Bach allerdings zwischen Eugen Jochum und dem vielleicht noch um einen Hauch vergeistigteren, verinnerlichteren, ja verinnerlichtereren Karl Richter und seinem Bach-Chor aufteilten – akkurat in »München, wo sie immer die Biermisere mit Kunstgebilden übertünchen« (Lenau im Brief vom 14.6.1841) und dann wieder umgekehrt.
    Adorno erntete damals mit seiner eigentlich mehr behutsamen Kritik an Bach bzw. der waltenden protestantisch-pietistischen und gesamtheitlich nachkriegsdeutschen Bach-Ideologie erheblichen Kulturvolkszorn, ja Jähzorn. Noch heute kann ich’s mir nicht genau erklären. Ob sie wirklich an ihren Zorn glauben? Oder an Bach? Und ob sie, die Bach-Menschen, wohl wirklich die etwas, die ungleich edlere Rasse sind?
    *
    Prima la musica, poi le parole. Der sattsam bekannten Formel, von Mozart bis Richard Strauss durchgewalkt, durfte ich von ca. 1959 bis 1961 einen differenzierenden Konter entgegensetzen: Die Musik gab es im folgenden Kasus ausnahmsweise eigentlich fast gar nicht; aber es wurde von mir über sie geschrieben. Und das sogar mit schwerst, geradezu verantwortungslos auftrumpfenden Worten. Worte in der Manier der damals führenden Musikschriftstellerei und -feuilletonistik, von Walter Panofsky und Joachim Kaiser bis vielleicht ein bißchen auch schon Adorno.
    »Nur das Wirkliche ist vernünftig« (Hegel)? Manchmal das Unwirkliche zumindest zünftiger.
    »Musikzirkel«: Es gab ihn eigentlich gar nicht, aber gut zwei Jahre lang trieb er seine Umtriebe in der Lokalzeitung, in meist kleinen, einspaltigen Artikeln, die das im 14tägigen Turnus sich vollziehende trübe Wirken des mysteriösen Kleinstadtvereins einer daran naturgemäß kaum interessierten Leserschaft vermittelten. Gegründet wurde der »Musikzirkel« a) in der Intention eines Seitenzweigs des tatsächlich bestehenden und tätig gewordenen »Literaturzirkels«, dieser unterm Dachverband eines lokal rumorenden »modern ring« (selbstverständlich kleingeschrieben) – und b)

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