Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
zugunsten des in der Not von ihm selber vorgeschlagenen »Koko«.
So hieß er denn jahrelang, bei einem besonders großgewachsenen und dressmanhaften Beau ein besonders hübscher Kosename. Und die Lehr’ davon? Daß selbst von einem Papst noch einiger schmächtiger Segen abstrahlen kann? Nein. Sondern, daß fast alle Menschen mehr oder weniger unter ihrem Spitznamen heimlich leiden – und daß man also jeweils zum Jahresende halbamtlich einen neuen beantragen können dürfen sollte.
Ich selber bin schon mal am Überlegen. Für »Gaggi« hätte ich, spät aber doch, im Moment eine gewisse Vorliebe.
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Von der ganzen – oder doch knapp halben – ruchlosen Drecks- und Gauner- und Karl Krausschen Welthirnjauchegesinnung des alten und ewig neuen Journalismus erfuhr ich erst später genauer und ausführlicher aus den Redaktionsstuben »Bild«, »Bunte«, »Super-Illu« usw. Die mit dem Berufsstand verbundene vielleicht erbliche oder doch nur angelernte Schleimigkeit, Devotion, Wanzenhaftigkeit usf. lernte ich schon zeit der Volontärsjahre in Regensburg (1968/69), die auch sonst des Lehrreichen viel enthielten, kennen und sogar partiell schätzen. Besonders instruktiv und einleuchtend durch einen an Jahren etwas fortgeschrittenen Kollegen in der Lokalredaktion, der neben anderen synchron liegenden Leistungen im Lauf der Zeit beinahe schon allesaberauchalles in Gänsefüßchen setzte. Bald begriff ich, was es damit auf sich hatte, was er damit sagen wollte: Wenn und sobald ich mit irgendwas ertappt werden sollte, kann ich ja immer mit Hilfe der Gänsefüßchen zu meinen Gunsten, nämlich zu meinem Selbstschutz als Ausrede vorbringen: War nicht so gemeint.
Kann ich zumindest um Gnade bitten.
Herauskamen bei ihm, dem Redakteur, Sätze, ja Satzkolonnen der Art:
Bei der »Generalstabs«-Besprechung zum »Volkslauf« 1969, diesmal unter dem »inoffiziellen« Motto »Rund um den Sinzinger Weiher« kam es diesmal zu einem »Blackout« dahingehend, daß »Petrus« beim vorgestrigen »Probestart« nicht »mitmachen« wollte. Sondern es »goß« in Strömen und der Himmel hatte »alle Schleusen« geöffnet. »Trübe Aussichten« also fürs Wochenende –
usw. Weshalb er nicht auch noch »Motto«, »Strömen« und »Himmel« in Anführungszeichen setzte, hätte ich ihn damals fragen sollen, denn die drei gibt es ja eigentlich genaugenommen auch gar nicht, und an den Himmel glaubt im Ernst ein Pressemann seines Geblüts schon mal gleich gar nicht. Und sie sind also genau so gelogen wie auch noch das bevorstehende »Wochenende«, das für ihn ja eh nur ein schaler Euphemismus für Not und Tod und Elend ist.
So wie ab ca. 2002 das tägliche Dauerarschgegrüße von wegen »Schönen Tag noch!« Oder gar: »Einen wunderschönen Abend!«
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Manchmal begegnete mir die wohl genuin-habituelle Unterwürfigkeit des eitel-eklen Berufsstands aber auch in freundlicher, netter, ja evtl. sogar metaphysikbildender Art. Ein Volontärskollege hatte Unfug angestellt, vernahm deshalb eine Kündigungsandrohung, legte sich an diesem Tag also besonders ins Zeug, und heraus kam ein Artikel, den ich zufällig schon am Umbruchstisch zu lesen kriegte und dort zu lachen begann, beinahe wie erlöst zu lachen – und den ich sicherlich (es gibt Proben bei Lesungen) auf meinem Totenbett noch auswendig kann:
»Im Lauf der Zeit erscheint einem eine Reihe von respektablen Persönlichkeiten, die einem bei den dezenten Regierungsempfängen am St. Emmeransplatz begegnen, bekannt. Neu, doch, da wegen pechschwarzer Haare, Augen in gleicher Farbe, nicht zu übersehen, gesellt sich dazu seit einiger Zeit ein neues Gesicht. Recherchen ergaben, es handle sich hierbei um den türkischen Vizegouverneur G. Toprak, der hier bei der Regierung die deutsche Sprache erlernt. Im Gespräch in den Empfangssesseln muß man bewundernd feststellen, Toprak hat sie schon gelernt. Der Chronist priese sich glücklich, wenn er des Türkischen sich in ähnlich kurzer Zeit ähnlich mächtig erwiese wie sich des Deutschen Toprak.«
Usf. Der Bericht landet dann noch manche weitere Glanzlichter wie auf sein Ende hin jenes, daß »den Vizegouverneur noch ein Mißverständnis plagt« abseits der deutschen Fehlmeinung, in der Türkei rennten alle Frauen noch verschleiert herum. Nämlich das »Mißverständnis« (Toprak oder der Autor?) einer gewissen »Sehnsucht nach seiner eigenen Frau und Familie« daheim in der Türkei. Wogegen G. Toprak sich allerdings im Sommer wieder geschickt
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