Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
Reise!« –
– auch dann noch, sobald Benns »heroisierende Attitüde« (Gernhardt), ihr prätentiöses »Gegenglück« (Benn) zuweilen durchaus ja schon wieder als verdächtig und ungehörig durchschaut wurden, als Kulturquatsch abermals »mit abnehmendem Sinngehalt« (der reife F.W. Bernstein) inmitten der ohnehin »schwindenden Sinnvorräte« (ders.) noch über die Sinnvakua der insgesamt doch recht verderblichen Adenauer-Zeiten hinaus.
Und selbst dann, wenn Benn übrigens der exzellierende Poet, als der er weit mehr als ein halbes Jahrhundert lang rangierte, ganz nun auch wieder nicht war, nein, wirklich nicht!
»Wir sind aus Literatur gemacht« (Ludwig Tieck) – und gehen ihr dementsprechend dauernd auf den Leim. Bei mir noch gänzlich Unreifem verlief die Sache nach ca. 1958 Gernhardt nicht unähnlich, aber noch beschämender: Auch ich war ziemlich, ja unziemlich Mitläufer des Zeitgeists und sei’s eben des Anti-Zeitgeists, und mehr als gut war. So ehern meine ganz vorn im Buch pointierte Widerspruchsausstattung, das allzeit Antihafte – so eingleisig funktionierte das aber eben leider nicht! Noch über den juvenilen Gernhardt hinaus waltete in mir immer auch etwas verblüffend Braves, ja Angepaßtes, Anpassungswilliges und sogar Ängstlich-Beklommenes; Autoritätshöriges, wenn man so will. Keineswegs immerzu war und fühlte ich mich so selbstsicher, kaltblütig, zuweilen auch apodiktisch in meinen Kunst- und Lebensansichten, wie das wohl anderen und sogar mir selber später vorkommen wollte. Auch nach der Erledigung der aktuellen Falschklassiker, auch bei mir von Hesse bis Bergengruen und später z.B. Jünger, wie sie so viele aus meiner Generation ja erst mal schaffen mußten, meist mit Hilfe von Deschners damals verdienstvollem Büchlein »Kitsch, Konvention und Kunst«, derweil blieb manches, blieb das meiste noch unbedarft und andererseits starr, leichtgläubig, lehrgläubig. Der ersten von weißgottwoher oktroyierten Lektüreliste folgte die zweite, nicht viel anders geartete. Gläubig verehrt drapierten nunmehr so keineswegs unanfechtbare Gesellen wie Broch und Musil und Jahnn und (der mir in einer bestimmten Lebensphase sehr liebe) Ernst Kreuder den Lesehimmel; sodann auch Henry Miller, Genet, Céline, Camus sowieso, der lange Zeit unanfechtbare Benn wie gesagt, und vor allem minderwertigster Schund von »Neorealisten« wie Pavese (auf dem damals wohl höher taxierten Filmsektor waren die Fehlmeinungen noch verheerender am Rotieren). Im engeren germanistischen Studienumfeld brillierten da, auch ohne rechte kritische Gegenwehr, Gestalten wie Heine, Raabe und Fontane – alle drei damals schon ganz besonders sakrosankt: Einem hier störrisch sich verweigernden germanistischen Studiker wäre zur Strafe das Studienbuch ent- und überhaupt der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
Selbst Gottfried Keller würde ich heute nicht mehr ganz so unfraglich verehren mögen wie, unter etwas selbstauferlegtem Diktat, im Zuge meiner Magisterarbeit 1966/67.
Ach Gott, ja, nicht nur mit fünfundzwanzig, nein, auch noch mit dreißig und schon mitten im Berufsleben, mitten in meinem satirisch-kritischen Meinungsbilden meinerseits, war ich zuweilen ein brav-ängstiger und gläubiger und sogar etwas opportunistischer Charakter und Kopf und –
Ich komme später im Buch darauf zurück. Nein, besser doch lieber nicht.
*
Fragen über Fragen über Fraglichkeiten. Und das lebenslang. Aber womöglich die allerwesentlichste Fraglichkeit zum Beschluß meiner Jugend im engeren Sinne war die etwas verblüffte Fragwürdigkeit als Selbstbeobachtung »dergestalt« (Kleist), daß ich nicht allein sehr viele Telefonnummern, Straßenhausnummern und später Postleitzahlen jederzeit auswendig wußte. Sondern desgleichen nach dem ersten Fußball-Bundesligajahr (1963–64) rechtschaffen sämtliche Endergebnisse (s. »Die Vollidioten«, Zwischenbilanz); und, wohl noch verräterischer, vom 1.1.1961 bis mindestens zum 1.1.62 den erheblicheren Inhalt eines jeden einzelnen Tages, meines Tages, verbracht meistens in München oder Amberg!
Dabei hätte ich zumindest in München schon alternativ Anlaß gehabt, mittelhochdeutsche Ablautreihen und sog. Ersatzdehnungen zuchtvoll selbstschurigelnd mir einzuprägen.
Im traurigen, ja tranigen Ernst: Hatte mein Leben so wenig Vitales, Dramatisches, Aufwühlendes oder wahlweise Romantisches, daß mein an sich recht brauchbares und noch frisches Hirn zu diesem faden Ersatzluststoff
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