Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
sterben täte, das konnte selbst der unter dem Panier von Kerzenfrömmigkeit als eine Art Inkarnation des Teuflischen operierende Lattern noch nicht wissen, noch auch nur betrunken schwankend zusammenschwurbeln.
Omina odiosa sunt. Von den allzu höheren Korrespondenzen sollte man, auch in diesem Buch, ohnehin besser die Nasen lassen. Weniger der gottlosen Hybris dienend als mehr der gewappelten Romanpsychologie war die vier Monate nach Romanabschluß getätigte Erfahrung, daß mich als Vertreter des mehr rüstig realen Lebens plötzlich Sehnsucht nach den erledigten, mit einem Erleichterungsstoßseufzer erledigten fiktiven oder halbfiktiven Romangestalten überwölbte; Sehnsucht dergestalt, daß man z.B. gern dauerhafter mit ihnen Umgang, Freundschaft geschlossen hätte; sonderlich skurrile Sehnsucht vor allem nach der katholischen »Kohl-Familie«, die aber leider in dieser kurzen Zeit in rascher Folge »real« verstorben oder mir sonstwie verlustig gegangen war.
Wieder mehr ins höhere Ominöse inklinierte eine Leseerfahrung, getätigt erst eine gute Weile nach Romanabschluß: »Eine originelle und mir sehr liebe Erscheinung waren für mich die Brüder Eberhard, Franz und Konrad. Konrad, der als Künstler bedeutendste, war damals 65 Jahre alt, Bruder Franz aber 57. Beide unverheiratet, lebten und arbeiteten sie in innigster Eintracht miteinander. Gingen sie so langsamen Schritts auf der Straße, so glaubte man ein Bild aus alter Zeit zu sehen.«
Den Passus aus Ludwig Richters Lebenserinnerungen, Leipzig 1950, hatte nicht ich, sondern in akuter Fertigstellungsphase der »Mätresse«-Zeichner F.W. Bernstein aufgespürt, und zwar im Urlaub in Dänemark, wo er gerade 15 Blätter fürs Buch angefertigt hatte. Richter trifft übrigens die beiden genannten Brüder in Perugia wieder, während mein Protagonist Landsherr die seinen im nahen Florenz vorfindet –
– ich aber finde am Tag von Bernsteins Richter-Entdekkung an keiner dümmeren Stelle als in der Radio/ TV -Zeitung den sensationellen Hinweis, daß der für den Roman zweimal hochrelevante Ort Knittlingen keineswegs, wie von mir bei der Niederschrift gewähnt, fiktiv ist; sondern der Geburtsort des historischen Faust, und zwar genau fünfhundert Jahre vor dem Roman im Jahre 1478 – ja, ich meine, aus all dem geht doch nun wirklich immerfort klar und unbehelligt und sogar ungebrechlich hervor, daß ich einfach begnadet bin – oder, gut, machen wir’s halt eine Nummer kleiner: daß alles mit allem und mit Clemens Brentano wohlwollend verbunden und verschwurbelt ist und sich trauernd und tröstend die Hand reicht und »im Widerschein sich ähnlich sein« möchte; wie es am schönsten Moment meiner Lieblingsoperette, dem »Bettelstudenten«, heißt und wie es allerdings dies alles vorausahnend schon im Romane (S. 317) selber steht.
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Gustave Flaubert, »November«, 1840–42:
»Bestimmte Wörter wühlten mich auf, die Wörter Frau, Mätresse vor allem (…) Was eine Mätresse anging, so war das für mich ein satanisches Wesen, dessen Magie des Namens mich schon in lange Ekstasen versetzte. Dieses Geheimnis der Frau außerhalb der Ehe, die eben deshalb noch mehr Frau ist, erregte mich und betörte mich mit dem doppelten Reiz der Liebe und des Reichtums.«
Im Kern nicht unähnlich, aber nicht ganz so lasterhaft exzessiv sinnt auch mein Roman-Ich Siegmund Landsherr bereits zu Beginn des Buchs (S. 7) über das Wort »Mätresse«, ja sogar über seine erotisierende Steigerung »Maitresse« nach. Aber doch im Vergleich zu Flaubert auch schon gleich ausgesprochen kommerzspekulativer. Das eben ist der Fortschritt, das Schicksal unseres schalen Jahrhunderts: Mehr Weltläufigkeit, aber auch weniger Leidenschaft; weniger Tiefe, dafür mehr Flattersinn; weniger Ekstasen, aber auch nicht mehr so viel Verlogenheit. »Die kleine Lustfabrik der Person« (Musil, Mann ohne Eigenschaften, 109. Kapitel) verlangt nach neuen betörenden Reizen; und sei’s den, daß das große Wallfahrtskirchengespräch mit Alwin am 1. März stattfindet; daß aber mit einer lang nach Romanbeschluß getätigten Entdeckung an diesem Tag tatsächlich der christliche Albin seinen Geburtstag im Kalender feiert.
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Die herzige Romanfigur Alwin Streibl aus der »Mätresse« von 1978 hatte auch im bürgerlich-prosaischen Leben ihr – mich jedenfalls – kaum minder erquickendes Pendant. So etwa, wenn dieses am 23. Mai 1979 im Sulzbach-Rosenberger Italienercafé Sommariva der kellnernden
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