Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
nicht mehr recht Herr war. Was der allzeit edle Bahr vielleicht nicht mitgekriegt oder wieder vergessen hat: Wehner widerfuhr ein ähnliches Los, als ihn zur Verabschiedung rund zehn Jahre später Schmidt ähnlich verlogen umarmte und gleichermaßen judasmäßig, ja honeckerartig küßte.
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Oper ist ja vor allem immer Überwindung, Transzendenz ihrer eigenen Erbärmlichkeit und Peinlichkeit – Menschen, gar Götter artikulieren singend mehr oder weniger haltlose Inhalte – durch die aus ihr, der Oper, selbst rührende Verzauberung, Entrückung, manchmal Verzückung.
Oft geht das gut, öfter nicht. Wenn Wotan im 3. »Walküre«-Aufzug eine gute halbe Stunde lang herumlärmt, daß er der »Verbrecherin« Brünnhilde nicht und nicht ihren Ungehorsam nachsehen kann, sondern sie aus Walhall ausweisen, verbannen muß, dann ist das zwischen Walkürenritt, Siegfried-Vision und Abschied mit Feuerzauber nur noch Überbrückung von Wartezeit; Ausfüllen der (nach fünfundsechzig Minuten 1. Aufzug, fünfundneunzig Minuten 2. mit siebzig Minuten für den dritten) unabdingbar halbwegs äquivalenten Zeitproportionen; Ausfüllen mit albernem, textlich wie musikalisch ziemlich gehaltlosem Geschimpfe und Gekeife. Daß Alt- und Neuwagnerianer gerade in diesem 3. »Walküre«-Aufzug die Erfüllung ihrer persönlichen Opernentelechie erfühlen, zeigt nur, wie dümmlich und unmusikalisch sie sind; vor allem Richard Wagner würde mir da sofort recht geben.
Besser wird es wieder bei Verdi. In »Aida« hat es zu 98,5 Prozent »tipptoppe« (Robert Walser) Musik bzw. Musikdramatik, darunter sogar 71 Prozent inspirierte. Zu deren Höhepunkt aber gelangt alles, aller dramatische Aufwand, wenn mitten im Triumphmarsch unter Hunderten von ägyptischen und äthiopischen Kriegern und »prachtvollen« (Adorno) exotischen Frauen und Weibern spätestens mit dem Wiedereinsetzen des Es-Dur-Trompetengeschmetters 1977 in der Arena von Verona vor meinen eigenen und bezeugenden Augen (bezeugt auch am 21.8.1977 durchs FAZ -Feuilleton) die dort sehr beliebte schwarze Hauskatze an der Rampe mitaufmarschiert und neugierig zu Ramphis und seinen Leuten hochblinzelt.
Aber auch das kann noch sublimiert werden, z.B. 1978, sobald die offenbar nämliche Katze diesmal sich in das sublime as-moll-/As-Dur-Finalterzett der »Forza del Destino« einbringt und zugesellt, im Scheinwerferkegel zwischen Leonora-Alvaro-Pater Guardian sich sacht niederläßt und so, schimmernd inmitten sonst nachtschwarzer Szene, das Ganze zum Quartett verstärkt, vom Seraphischen zum Divinischen liftet, schweigend und keineswegs singend den Trinitätsgedanken nochmals so schwere- wie mühelos hinter sich zurücklassend.
So soll das Leben sein. Ehe es sodann wieder in die flache Unbedeutendheit von Vino rosso und Grappa ordinär versackt.
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»Auch wer auf diese begehrliche Weise seine eigene Frau ansieht«, teilte der Papst Woityla schon bald nach Beginn seiner Amtszeit im Oktober 1980 weltweit mit, »begeht den Ehebruch in seinem Herzen, weil er (der Ehemann) sich der Weiblichkeit der Frau bedient, um den eigenen Instinkt zu befriedigen« (zit. nach FAZ ).
Auf jenen erstaunlichen Satz hin bastelte ich für den sozialdemokratischen »Vorwärts« eine kleine Satire mit der plausibel-naheliegenden Pointe, daß ich dem Papst, unter Verweis auf Parallelen im Tier- und Pflanzenreich, vollkommen recht gab.
Daraufhin und ganz kurz vor der Wahlentscheidung Helmut Schmidt vs. Franz Josef Strauß setzte es einen Protest der deutschen Bischofskonferenz wegen »massiver Beleidigung«, offenbar des Papstes; ein Protest, der aber schon am nächsten Tag wieder zurückgenommen, praktisch totgeschwiegen, oder sozusagen aktiv vergessen, wurde.
Bis heute weiß ich nicht recht, warum; wie das Ganze zu deuten sei. Empfanden die Bischöfe es als massive Beleidigung, daß ich ihr versiertes Sexualverhalten den eigenen Ehefrauen gegenüber mit dem dämlichen Woityla-Zitat bzw. meinem Einverständnis damit sabotiert hatte? Und kriegten sie am andern Tag kalte Füße vor ihrer eigenen gar zu fortschrittlichen Courage?
Was ich 1980 noch kaum wissen konnte: Daß Woitylas unermeßlicher und, wie mir schien, eigengewächslicher Blödsinn vielleicht teils auf einen Quasi-Hörfehler, auf ein vielleicht auch absichtsvoll falsch aufgeschnapptes Jesus-Wort aus der Bergpredigt (Matth. 5,28) sich stützt: »Ich aber sage euch: Ein jeder, der eine Frau mit Begierde ansieht, hat die Ehe mit ihr gebrochen in seinem
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