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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckhard Henscheid
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spätere Bundespräsident Rau ab 1978 nachweislich und zu meinem Erstaunen mein Leser war, ist verzeihlich für mich; denn immerhin kam ich damit nicht an den Kollegen Mosebach heran, der den lebenden Papst Ratzinger als Leser sein eigen nannte und noch nennt. Der muß mir in meiner Regensburger Zeitungsvolontärszeit als fast jugendlicher und wie geleckter katholischer Theologieprofessor ebenso entgangen sein wie der spätere bayerische Ministerpräsident, der unglaubliche E. Stoiber, der dortmals (1967–69) an der neugegründeten Regensburger Universität jene Doktorarbeit über Hausfriedensbruch verfertigte, »vor der Gott selber den Hut zog« (Peter Köhler/Jürgen Roth, 2002 in ihrer schönen Biografie). Antraf ich aber in diesen Regensburger frühen und recht glücklichen Tagen den Domkapellmeister und Ratzinger-Bruder Georg Ratzinger, die Minister Stoltenberg und Höcherl (ein trinkfroher Feger, man mußte ihm gut sein), sowie den wunderbar gelackten und insofern erkennbar unseriösen bayerischen Spitzenpolitiker und Bundesratsminister Franz Heubl, jenen, der wenig später bei einer Trunkenheitsfahrt in München durch gleich vierfachen Gesetzesverstoß (Trunkenheit, Straßenanlagebeschädigung, Fahrerflucht und Beamtenbeleidigung) auf- und spätestens da der Partei zur Last fiel; zumal ihn etwa gleichzeitig sein Chef Strauß abermals wegen Trunksucht und zudem übermäßiger Schlafsucht im Amt mit einem Dossier belastete.
    Übertroffen an gleißender Gediegenheit und vollkommener Verratzheit wurden Heubl und Strauß aber zu der Zeit und etwas später durch einen Mann, der mir in Regensburg leider nicht über den Weg schlurfte, die damalige Nr. 2 hinter Strauß in der Partei, ein heute sehr bedauerlicherweise auch in Parteikreisen sei’s aus allg. Gedächtnisverlust, sei’s aus verordneter Verdrängung restlos Vergessener: der für die politische Arbeit in Bonn freigestellte Günzburger Oberstudiendirektor Leo Wagner, ca. 45. Der sein abenteuerlich achterbahnfahrendes Bonner Doppelleben bei strotzend eindrucksvollsten Schulden (in der Millionengegend) und folgenden Minderzurechnungsfähigkeitserklärungen mit der vom »Spiegel« aber erst sehr spät nachgewiesenen Krönung beschloß dergestalt, daß er neben Julius Steiner 1972 jener zweite CDU/CSU -Abgeordnete gewesen war, der gegen 50000 Mark seine schwarze Seele verkauft, gegen Barzel votiert und somit Brandt und seiner SPD das Weiterregieren bis 1982 erlaubt hatte.
    Was leider Gottes wohl nicht mehr ultimativ nachzuweisen ist, wovon ich aber träume, ja heute zutiefst überzeugt bin: Daß Wagners Leo, nachdem ihm 50000 Eisenmänner von der DDR -Staatssicherheit bei seinem unermeßlichen Schuldenstand wenig nutzten, damals noch stürmisch eine zweite größere Quelle anzapfen konnte: direkt oder indirekt die eigene Partei, die CSU und namentlich – Strauß. Weil Strauß, wie vier Jahre später im Fall Kohl, 1972 einen Kanzler Barzel absolut nicht ertragen konnte bzw. hätte ertragen können, so war es also dringend geboten, ja lebensnotwendig, daß der Fuzzi hier – –
    Wie gesagt, es ist dieser doppelte Jahrhundertnervkitzel – der lachhafte Betrag und ein von der eigenen Partei verhinderter Kanzler – absehbarerweise wohl nie mehr nachzuweisen. Die Sensationissima wäre auch fast zu schön, um ganz wahr zu sein.
    *
    Nicht durchaus erfreulich, es konnte nicht anders sein, geriet mir das Miteinander mit vor allem älteren Kollegen, das, was man in der Not die persönliche Begegnung nennt. Noch vor der damals schon inkommensurabel gewordenen Rinser Luise der wohl Schrecklichste war Grass. 97 Prozent aller deutschösterreichischen Kamerabewegungen beim »steirischen herbst« im Oktober 1981 in Graz galten ihm, waren auf ihn buchstäblich fokussiert, obwohl da auch noch genug andere, auch medial hinlänglich attraktive Prominenz herumsaß – und doch lauerte er, der in den Jahren vorher in Deutschland gar nicht mehr so sehr Gefeierte, wie ein Luchs auf die Linsen noch während des Suppenessens; wurde unruhig, wenn die Objektive mal mehr als zwei Minuten ruhten oder, schlimmer, seiner vergaßen. Und voll der impertinenten Absicht, ja in gezielter Ruchlosigkeit las er so lange, so endlos lange sein gestelztes Prosastakkatozeugs herunter, daß Rühmkorf, Hildesheimer und all die anderen in der Folge dieser Unkollegialität, dieser Entgleisung, notwendig den kürzeren ziehen mußten. Was ein Rüpel, noch beim Vorlesen.
    Freundlichere, mir

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