Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
Kölner grünen Literaturfachmannschaften erbaut.
Es drehte sich vor allem aber auch eineinhalb Jahre lang um die von mir gewählte spezielle Form dieser Kurzkritik, welche die Literaturgeschichtler als Invektive oder Pasquill bezeichnen, als Schmähschrift, operierend ohne zitatliche u.ä. Begründungen – die Juristen benennen es gleichfalls als »Schmähung«; verstehen aber nichts deskriptiv Neutrales im Sinne einer Normativität des faktisch Schmähbedürftigen darunter; sondern etwas Unmoralisches, etwas Böses.
Ich kann nicht sagen, daß die beiden Berliner Gerichte und die bloß im Hintergrund in Erscheinung tretenden Karlsruher besondere Anstrengungen unternommen hätten, nach Maßgabe wenigstens ihrer bescheidenen literarischen Maßstäbe und Lesekenntnisse und allgemeinen Welterfahrungen diesen mehrfach neuralgischen Punkt zu begreifen; begriffliche Klärung zumindest innerhalb der genremäßigen Unvereinbarkeiten zu versuchen und so etwas wie eine synoptisch ausgleichende Gerechtigkeit ins forensisch demonstrativ gelangweilte Auge zu fassen. Kleinere zu erörternde Fragen wie die, ob so ein spezifischer Text sich ans ominöse Buchhandels-»Durchschnittspublikum« ohne viel Ahnung und Urteilsvermögen richte, oder im Fall der ausgewiesenen und als kritisch-witzig beleumdeten Zeitschrift »Der Rabe« an ein entsprechend spezielles und kundiges und in seiner Apperzeptionsapparatur vorgeprägtes: dergleichen interessierte die befaßten Richter offenbar und unverfroren ostentativ nicht den leisesten Hauch. Schon komisch. Denn unter diesen Umständen und Sehweisen, daß letzten Endes alle Kritik Schmähung sei, hätten sie wohl auch Einsteins Relativitätsneuerung zurückgewiesen und verdammt; und den Galilei sowieso.
Ungeachtet der aus den Urteilstexten ablesbaren selbstzufriedenen Unbelehrbarkeit der Richterlichen und ihrer Blasiertheit eine andere initiale und schlußendliche Pointe der Sache, für den Interessierten und durchschnittlichen Zeitungsleser recht schwer kompatibel und kapierbar: Hätte die Partei Henscheid von vornherein gegen René Böll und seinen machtvoll auftretenden Rechtsbeistand, den Prof. Wilh. Nordemann, klein beigegeben und zur Verhütung größerer Geldschäden eingestanden bzw. darauf bestanden, daß es sich beim fraglichen Text um »Satire« und mithin um die grundgesetzlich-verfassungsgerichtlich besonders geschützte und hochgehaltene Kunst- bzw. »Satirefreiheit« gehandelt habe, dann wäre das Ganze wohl auf eine Art Freispruch, oder einen Vergleich, hinausgelaufen. Mit einer gewissen Beharrlichkeit, ja Sturheit – von einem dahergelaufenen Böll-Sohn läßt man sich schließlich nicht gern vorschreiben, was wer wo wann schreiben darf – bestand unsere Partei indessen immer wieder darauf, der fragliche Text sei »Klartext«, wenn auch (la petite différence) satirisch zugespitzter, also 1:1 zu verstehen – und das eben brachte halt das endliche Verdikt der Schmähung bzw. Schmähungsabsicht und damit die Bürde der etwa 15000 Mark von mir zu berappenden Gerichts- und Verfahrenskosten ein. Auf »Schmerzensgeld«, »Geschäftsschädigung« und was dergleichen üblicher Unfug auch noch denkbar gewesen wäre, verzichtete die vom Vater her gewohnt christliche Sippschaft Böll immerhin generös.
Und vom Antrag auf Kerkerstrafe sah man wohl von vornherein wegen Chancenlosigkeit ab. Schade, es wäre meine erste und eventuell schon letzte Gelegenheit gewesen, diese Art Innenleben kennenzulernen. Die einem Apostel Petrus oder auch Rudolf Augstein so viel Lebensweisheit und Besinnung eingebracht hatte.
Erst lang nach Bölls Tod und dem von Walter Höllerer las ich im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg aus Höllerers altdeutscher Reise- oder auch Universitätsschreibmaschine, daß dieser um 1960 dem Stockholmer Nobelpreiskomitee, offenbar dazu aufgefordert, Heinrich Böll als würdigen Nobelpreisträger empfohlen hatte; einigermaßen lang bevor es dann 1972 wirklich so weit war, daß das Stockholmer »Narrenhaus« (so später ein Jurymitglied) 1972 zum späten Segen vor allem von René und den Seinen sageundschreibe gehorchte. Und dies ausgerechnet mit besonderer Empfehlung des von mir als unzurechnungsfähig verspotteten Romans »Und sagte kein einziges Wort«; vom Literaturprofessor angepriesen mit Worten und Argumenten, die nicht und in nichts von den geschwollenen eines damaligen übertypischen Provinzmittelschullehrers auseinanderzukennen sind. Ich will keinen weiteren
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